Mehr als nur eine Spinnerei: Aus einem alten Fabrikgelände ist in Leipzig ein etablierter Kunstraum geworden. An diesem Wochenende zeigen die Galerien neue Highlights. Leipzig (dpa/sn) - Ein altes Fabrikareal zu einem Zentrum für Künstler und Kreative umwandeln - diese Idee funktioniert in der Leipziger Baumwollspinnerei seit rund zwei Jahrzehnten. An diesem Wochenende wird auf dem Gelände Jubiläum gefeiert, seit 20 Jahren gibt es Galerien in der Spinnerei. Am Samstag und Sonntag öffnen sie ihre Türen für einen Frühjahrsrundgang. Unter anderem präsentiert die Galerie Eigen + Art unter dem Titel "Stille Reserve" Werke von Neo Rauch. In der Galerie Kleindienst sind Bilder von Rosa Loy zu sehen, ASPN präsentiert neue Arbeiten von Franziska Holstein. Bertram Schultze: "Es war wie ein Abenteuerspielplatz hier" Bertram Schultze, Geschäftsführer der Spinnerei, kann sich noch gut daran erinnern als er das Fabrikgelände zum ersten Mal betrat. "Man konnte von unseren Ateliers aus durch die langen Kellergänge gehen und stand plötzlich in der Produktionshalle, wo wirklich noch die Damen in der Kittelschürze an den Maschinen standen. Das gab es alles noch. Und dann war es auf der anderen Seite aber auch ein sehr ruhiger und verlassener Ort." Die 1907 erbaute Baumwollspinnerei war einst die größte ihrer Art in ganz Kontinentaleuropa. Zu DDR-Zeiten arbeiteten hier bis zu 4.000 Menschen im Drei-Schicht-Betrieb, 2001 endete die Produktion. Dass in diese industriellen Hallen Kunst einziehen sollte, hätten viele mit Skepsis verfolgt, sagt Schultze. Die Entwicklung der Spinnerei ist eng verbunden mit dem Hype um die Malerei der Neuen Leipziger Schule, die einige Jahre nach dem Mauerfall begann. Künstler wie Neo Rauch waren Mieter der ersten Stunde und zogen internationale Aufmerksamkeit auf die Spinnerei. Heute sind laut Schultze alle verfügbaren Räumlichkeiten belegt. Kunst und Kulturschaffende seien die stärksten Mieter. Die Nachfrage vor allem nach Ateliers sei groß. In den übrigen Räumen hätten sich verschiedene Unternehmen wie ein Weinhändler, Architekten und sogar ein Callcenter angesiedelt. Die Ateliermieten sind laut Schultze nach wie vor günstig - sie bewegten sich zwischen vier und sechs Euro pro Quadratmeter. Galeristin der ersten Stunde: "Hier war alles so machbar" Arne Linde, Chefin der Galerie ASPN, ist von Anfang an dabei gewesen. Damals vor 20 Jahren war sie noch die einzige weibliche Galeristin und arbeitete auf kleinem Raum, der sich nach und nach vergrößerte. Linde schätzt vor allem den Zusammenhalt vor Ort, dass das Gelände nicht durchsaniert sei und die Mieter einen großen Gestaltungsspielraum hätten. "Jede Galerie sieht innen anders aus. Wir haben nicht die gleichen Türen und nicht die gleichen Kloschüsseln." Der Kunstmarkt ist aus Sicht von Linde sehr unbeständig. Die Auswirkungen der Pandemie, des Krieges in der Ukraine und der Inflation seien spürbar. Das Interesse an Kunst sei weiterhin groß, das Geschäft sei aber weniger kontinuierlich geworden. Junge Menschen interessierten sich weniger für das Kunstsammeln. Die Baumwollspinnerei sei für Kunstliebhaber dennoch eine wichtige Adresse. In Lindes Galerie kommen Menschen mit vielfältigen Hintergründen: "Es kommen Leute rein, die ganz genau Bescheid wissen und andere Leute, die mich fragen, ob ich alles selbst gemalt habe." Fast jede internationale Zeitung habe schon über die Baumwollspinnerei als Kunstzentrum berichtet, berichtet Schultze. Die britische Zeitung "The Guardian" bezeichnete im Jahr 2007 die Kunstfabrik als "the hottest place on earth". Auch wenn der Hype aus den 2000er Jahren abgeflaut ist, ist der Geschäftsführer zufrieden: "Wenn man das halten kann, dass man so eine starke Attraktion ist, dass man das noch weitere 10 oder 20 Jahre hinkriegt, wäre mir das Vision genug."