Vor 25 Jahren gab sich die Internet-Community Regeln für den Aufbau zusätzlicher regionaler Vergabestellen für IP-Adressen. Es war der Startschuss für die Gründung zweier neuer regionaler Internet Registries (RIRs) in Lateinamerika und Afrika. Dass ein solch wichtiger Infrastrukturprovider aber auch scheitern könnte, hatten sie nicht auf dem Zettel. Wegen der anhaltenden Probleme mit Afrinic in Mauritius will man nun Regelungslücken schließen. Anzeige Am 4. Juni 2001 passierte die von den Adressselbstverwaltungen in Europa (RIPE), Asien (APNIC) und Nordamerika (ARIN) vorbereitete Internet Coordination Policy-2 (ICP-2) den Vorstand der kurz zuvor gegründeten Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). In den Internetfrühzeiten hatten die Europäer die IP-Adressvergabe für Kollegen in Afrika mit erledigt. Die nordamerikanische ARIN übernahm denselben Dienst für Lateinamerika. Mit der IPC-2 ebneten die RIRs der weiteren Dezentralisierung und auch Demokratisierung der globalen IP-Adressvergabe den Weg. Lesen Sie auch AfriNIC: Provider scheitern mit Sanktionsplänen gegen Regierungen Die einheitliche Zuteilung aus dem gemeinsamen Adresspool der 4,3 Milliarden IPv4- und 340 Sextillionen IPv6-Adressen gehört zu den wichtigsten Basisinfrastrukturen fürs Internet. Ohne IP-Adressen kein Anschluss ans Netz. Stein des Anstoßes Was es bedeutet, wenn eine IP-Adressvergabestelle nicht mehr voll funktioniert, bekommen aktuell vermehrt Netzbetreiber in afrikanischen Ländern zu spüren. In verschiedenen Ländern, etwa Tansania und Südafrika, mehren sich Klagen von Unternehmen, dass ihre Anträge auf Adresszuteilungen nicht bearbeitet werden. Ein Rechtsstreit mit dem Adresshändler Lu Heng, CEO von Larus (Hong Kong), und dem mit ihm verbundenen Unternehmen Cloud Innovation (Seychellen) hat Afrinics Arbeit in Teilen lahmgelegt. Seit 2022 gibt es keinen ordentlichen Vorstand und keinen Geschäftsführer mehr. Gerichte in Mauritius, Afrinics Hauptsitz, haben bereits den zweiten Notverwalter bestellt. Verwalter Gowtamsingh Tabee hat jetzt zwar neue Vorstandswahlen für den 23. Juni angekündigt. Dass das Nominierungskomitee ausschließlich mit britischen Anwälten besetzt ist und die britische Firma Civica die Plattform für die elektronische Stimmabgabe betreiben soll, stößt allerdings auf Widerstand in Teilen der Afrinic-Mitgliedschaft. Anzeige "In seiner jetzigen Form verstößt der geplante Wahlprozess gegen die Verfassung von Afrinic und das Bottom-up-Prinzip der Multistakeholder", warnt Noah Maina, Generalsekretär des tansanischen Internet-Service-Provider-Verbands und in vielen Funktionen innerhalb der Internet-Selbstverwaltung des Kontinents aktiv. Maina beabsichtigt, gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten, um eine gesetzlich korrekte Wahl im Rahmen der Satzung durchzusetzen. Zukunft Afrinics ungewiss Hans-Peter Holen, Geschäftsführer des RIPE NCC und nach dem Rotationsverfahren aktuell Vorsitzender des RIR-Dachverbrandes Number Resource Organisation (NRO), unterstrich bei einem Online-Workshop zu den ICP-2 Nachfolgeregeln am Dienstag, ein Update der Regeln sei nach 25 Jahren überfällig gewesen. Das neue Grundsatzdokument zu "Anerkennung, Betrieb und Entzug der Anerkennung Regionaler Internet Registries" begleitet das RIR durch seinen Lebenszyklus. Es schreibt operative Verpflichtungen fest. An erster Stelle steht die diskriminierungsfreie Ausgabe von IP-Adressen an die Mitglieder nach dem alt-bewährten Non-for-Profit-Prinzip. Ein Minimum an formalen Grundsätzen – mindestens ein Treffen der Mitglieder pro Jahr – soll das Bottom-Up-Prinzip absichern, auch wenn es nicht mehr so genannt wird, wie IP-Adressexperte Randy Bush beim Workshop anmerkte. Absicherung gegen Alleingänge Damit eine Registry ihre Prozesse sauber abwickelt und die Mitgliedschaft im Sinne der Selbstverwaltungsidee ausreichend beteiligt, sollen überdies Audits die Geschäfte möglichst regelmäßig prüfen. Beim RIPE NCC mache man dies bereits seit einiger Zeit, versicherte Holen. Ein weiterer, neu eingeführter Grundsatz verpflichtet die RIRs, mögliche Versuche einzelner oder einer einzelnen Firma oder Gruppe zu verhindern, die Kontrolle über die Selbstverwaltung an sich zu reißen. Auch diese Bedenken sind mit den Auseinandersetzungen zwischen Afrinic und Lu Heng gestiegen. Afrinics Notverwalter verwies in einem Rundschreiben zur geplanten Wahl auf "Sorgen bezüglich möglicher Einflussnahmen" auf den Prozess. Vor zwei Jahren warnten Mitglieder von APNIC gar von einer "feindlichen Übernahme" in Wahlen. Lu Heng hatte hier zusammen mit einigen Mitarbeitern der Number Resource Society (NRS) kandidiert. Gemeinsam mit dieser wirbt Lu im ICP-2-Prozess dafür, Inhabern von IP-Adressen unbeschränkte Adresstransfers quer durch die Regionen zu gestatten. Das würde für Wettbewerb unter den RIRs sorgen, meint er. De-Recognition Als letztes Mittel gegen ein disfunktionales RIR will sich die NRO für die Zukunft die Aberkennung des RIR-Status vorbehalten. Initiiert werden kann dies von einem RIR, aber auch von einem Viertel der Mitglieder des betroffenen RIR. In einem geordneten Prozess sollen bei Aberkennung die IP-Adressen dann an eine Nachfolgeorganisation oder einen Interimsverwalter gehen. Im angelaufenen Konsultationsverfahren mit der Community gibt es durchaus noch Änderungswünsche. Manche Mitglieder halten etwa die geforderte Einstimmigkeit für Anerkennung oder Absetzungsentscheidungen für eine zu hohe Hürde. Schon auf Wunsch der Community aufgenommen hatten die NRO-Mitglieder, die den Entwurf vorbereitet haben, dass ein betroffenes RIR den ICANN-Vorstand nach dem Entzug der Aberkennung nochmals anrufen kann. Man prüfe und diskutiere jeden einzelnen Vorschlag zu dem Grundsatzdokument sehr genau, versprach beim Workshop am Dienstag Constanze Bürger, deutsches Mitglied der NRO und Beamtin im Innenministerium. Sie hatte im Jahr 2009 beim RIPE IPv6-Adressen für den Bund beantragt. Die Afrinic-Situation habe etwas angestoßen, sagt sie. Die Vorschläge Lu Hengs zu uneingeschränkten Transfers zwischen den Regionen widersprechen ihrer Meinung nach dabei gerade der Idee eines dezentralen, demokratischen RIR Systems. Kommentare zum künftigen Grundsatzdokument können noch bis 27. Mai eingereicht werden. (mki)