Meinung Rechtsextremismus-Urteil – Die AfD ist zu gross, um sie zu verbieten Der deutsche Verfassungsschutz stuft die gesamte Partei als rechtsextremistisch ein und erhöht damit den Druck auf die Politik, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Das wäre aber ein Fehler. Analyse von Dominique Eigenmann aus Berlin Lichtermeer gegen rechts: Demonstration vor dem Brandenburger Tor in Berlin Ende Januar. Foto: Ben Kriemann (Imago, Pic One) Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren. Abo abschliessenLogin BotTalk Vier Jahre lang hat der deutsche Inlandsgeheimdienst den Verdacht geprüft, dass die Alternative für Deutschland eine rechtsextremistische Partei ist. Sie hat dabei deren Programm studiert, vor allem aber Aussagen ihrer Politikerinnen und Politiker gesammelt. Daraus wurde ein geheimes Gutachten erstellt, das 1100 Seiten umfasst. Dessen Urteil fällt nun eindeutig aus: Der Verdacht hat sich erhärtet, die gesamte Partei wird als «gesichert rechtsextremistisch» eingestuft. Die AfD, argumentiert der Verfassungsschutz, propagiere einen ethnischen Volksbegriff mit dem Ziel, eingewanderte Menschen als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse auszugrenzen – selbst solche, die längst Deutsche sind. Die Hetze der AfD gegen Minderheiten, insbesondere gegen Menschen muslimischen Glaubens, verletze die verfassungsrechtlich garantierte Menschenwürde. Deutsche mit Migrationsgeschichte würden als «Passdeutsche» diskriminiert, Zuwanderung als von der Regierung betriebene «Umvolkung» diffamiert, Eingewanderte als «Messermigranten» verleumdet, denen «millionenfache Remigration» bevorstehe, sobald die AfD regiere. Deren Forderungen, bilanziert der Verfassungsschutz, verstiessen im Ganzen nicht nur gegen das Gebot der Menschenwürde, sondern auch gegen das Rechtsstaats- und gegen das Demokratieprinzip und gefährdeten die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Ein «Schlag gegen die Demokratie»? Die Einstufung löste heftige Reaktionen aus: Während Linke und Grüne begrüssen, dass endlich Rechtsextremismus auf einer Partei stehe, in der schon lange Rechtsextremismus drin sei, beklagt die AfD den Schritt als «schweren Schlag gegen die Demokratie». Die grösste Oppositionspartei des Landes werde «öffentlich diskreditiert und kriminalisiert», meinen die Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla. Man werde gegen die Einstufung klagen – wie zuvor schon gegen die Einschätzung als Verdachtsfall. Früher wollte sie ihn als Extremisten aus der Partei werfen, jetzt hofiert sie ihn: AfD-Chefin Alice Weidel mit Björn Höcke, Landeschef in Thüringen. Foto: Karina Hessland (Imago) Entscheidend ist nun aber, wie die anderen Parteien reagieren. Nach den Verbrechen des Nationalsozialismus wurde die Bundesrepublik ausdrücklich als «wehrhafte Demokratie» wiedergegründet. Angesichts seiner Geschichte ist Deutschland eines der wenigen Länder, in denen Parteien verboten werden können, falls diese die Demokratie gefährden. Die Einstufung der AfD als «gesichert rechtsextremistisch» löst nun vor allem bei Stimmen links der Mitte die Forderung aus, umgehend ein Verbotsverfahren einzuleiten. Die juristischen Hürden für ein Verbot sind allerdings sehr hoch. Das Bundesverfassungsgericht hat 2003 und 2017 sogar Anträge gegen die Neonazipartei NPD abgelehnt. Der Sozialdemokrat Olaf Scholz, ein paar Tage noch Kanzler, warnt denn auch davor, ein Verbotsverfahren «übers Knie» zu brechen. Fachleute meinen, bis zu einem Urteil würde es in jedem Fall Jahre dauern, ein Verbot sei sehr unsicher. Für ein Verbot zu gross Politisch ist die Skepsis vor allem in der Christdemokratie gross, die ab nächster Woche mit Friedrich Merz den neuen Kanzler stellen wird. Das Verbot der rechtsextremistischen NPD scheiterte einst, weil diese laut Gericht zu klein und zu unbedeutend war, um die Demokratie zu gefährden. Bei der AfD könnte es nun umgekehrt sein: Sie ist für ein Verbot eigentlich schon zu gross. Mehr als 10 Millionen Deutsche haben bei der letzten Wahl die AfD gewählt; laut Umfragen ist diese derzeit sogar stärkste Partei im Land – gleichauf mit der Union oder knapp vor ihr. Viele ihrer Wählerinnen und Wähler sind selbst keine Rechtsextremisten; sie trauen es den anderen Parteien nur nicht mehr zu, ihre Probleme zu lösen. Vom Stigma «rechtsextremistisch», das in Deutschland politisch lange tödlich war, lassen sie sich längst nicht mehr abschrecken. Im Januar 2024 demonstrierten Millionen Deutsche gegen «Remigrations»-Pläne der AfD. Foto: Imago Man müsse die AfD mit besserer Politik «wegregieren» statt «wegverbieten», meint eine Mehrheit bei CDU, CSU oder FDP. Viele bei der SPD und den Grünen sehen es gleich. Zu Recht wenden sie ein, dass auch ein Verbot das Grundproblem nicht lösen würde: dass nämlich viele Deutsche den «Altparteien» und «dem Staat» nicht mehr vertrauen. Die Vorstellung, diese Menschen würden brav wieder CDU oder SPD wählen, sobald die AfD verboten wäre, ist abstrus. Nur: Ist die deutsche Demokratie überhaupt noch «wehrhaft», wenn sie selbst dann kein Verbot beantragt, wenn der Verfassungsschutz ihr 1100 Seiten mit Gründen dafür in die Hand drückt? Die Wahrheit mag unbequem sein, drängt sich aber auf: Am Ende kann kein Verfassungsschutz und kein Verfassungsgericht der Welt verhindern, dass eine Demokratie in Gefahr gerät oder kippt. Das müssen wehrhafte Bürgerinnen und Bürger schon selber tun. Newsletter Der Morgen Der perfekte Start in den Tag mit News und Geschichten aus der Schweiz und der Welt. Weitere Newsletter Einloggen Dominique Eigenmann ist seit 2015 Deutschlandkorrespondent in Berlin. Mehr Infos @eigenmannberlin Fehler gefunden?Jetzt melden.