Zahlen, bitte! 105,882 km/h Temporekord, um 12 km/h-Elektrotaxis zu verkaufen.

Am 29. April 1899 durchbrach der belgische Ingenieur und Rennfahrer Camille Jenatzy mit seinem torpedoartigen Elektroauto "La Jamais Contente" (Französisch für: "Die niemals Zufriedene") die magische Grenze von 100 Stundenkilometern für Landfahrzeuge. Mit handgestoppten 105,882 km/h schlug er auf einer eigens angelegten Rennbahn im Parc agricole d'Acheres bei Paris seinen Konkurrenten Graf Gaston Chasseloup-Laubat, der zuvor am 4. März auf derselben Strecke im "fliegenden Kilometer" 92,78 km/h erreicht hatte. Anzeige Jenatzkys Rekord hielt nur drei Jahre, doch im Hintergrund der von der französischen Zeitschrift "La France Automobile" veranstalteten Tempojagd ging es eigentlich um das Geschäft mit Elektro-Taxis, die in Paris verkehren sollten. Vor genau 125 Jahren lieferte Jenatzys Firma, die "Compagnie Internationale des Transports Automobiles" das erste seiner 30 bestellten elektrischen Taxis aus. Sie fuhren mit Kutschen-und Fußgänger-kompatiblen 12 km/h bei einer Reichweite von 70 Kilometern durch die Stadt. Zahlen, bitte! In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor. Alle Artikel zu "Zahlen, bitte!" Im Jahr vor dem allseits bestaunten "Jahrhundert-Rekord" hatte der Rennfahrer Chasseloup-Laubat auf der 2 Kilometer langen Rennstrecke von d'Archeres in einem Fahrzeug auf Kutschenbasis namens Jeantaud Duc 63,158 km/h erreicht und diesen Rekord schließlich auf 92,78 km/h verbessert. Camille Jenatzy mit Ehefrau auf der Siegesparade mit seiner Jamais Contente am 1. Mai 1899. (Bild: Jules Beau, gemeinfrei) Der älteste Sohn des französischen Marineministers unter Napoleon III fuhr dabei für die Automarke Jeantaud ein windschnittig umgebautes Fahrzeug, das an eine Seifenkiste erinnert, mit dem Unterschied, dass der Fahrer aerodynamisch ungünstig auf ihr sitzt. Rekordversuche mit Blick auf Taxiunternehmen Anzeige Der Autokonstrukteur Charles Jeantaud finanzierte die Rekordversuche, weil er Aufträge von Pariser Taxi-Unternehmen suchte. Diese suchten um die Jahrhundertwende nach einem Ersatz für die Pferdedroschken, die die Pariser Straßen mit Unmengen an Kot verpesteten. Ähnlich ging sein Konkurrent, der Belgier Camille Jenatzy vor, Sohn eines Kautschukfabrikanten aus Schaarbeek. Er nahm das Fahrgestell eines seiner bereits konstruierten Taxi-Fiaker vom Typ "Wagonette Jenatzy" und ließ auf ihm eine "Rennzigarre" aus Partinium bauen, die sich eng an die damals entwickelten Marine-Torpedos anlehnte. Zwei Elektromotoren an der Hinterachse mit zusammen 50 kW Leistung von Postel-Vinay und 100 2V-Bleiakkumulatoren von der Firma Fulmen komplettierten das Set-up für seinen Rekordversuch. Allein die Akkus hatten ein Gewicht von 750 Kilogramm. Insgesamt wog die "La Jamais Contente" 1450 Kilo, war 3,80 Meter lang und 1,40 Meter hoch. Nicht zu vergessen die neuen Renn-Luftreifen von Michelin, für die die Reifenfirma aus Clermont-Ferrand mit dem aus 42 Reifen bestehenden Bibendum gerade eine große Werbe-Kampagne (für Radfahrer) gestartet hatte und den Rekordversuch mitfinanzierte. Rekordwagen als Werbeträger für Reifen und E-Antrieb Jenatzy entschied sich damit gegen die Vollgummi-Räder aus der väterlichen Fabrik und überließ nach der Rekordfahrt seine "La Jamais Contente" Michelin für weitere Reifenversuche und Werbeauftritte. Zwischenzeitlich wurde die "Rennzigarre" auf zahlreichen Autosalons und anderen Ausstellungen als Zukunftsmobil gezeigt und signalisierte: die Zukunft gehört dem elektrischen Antrieb. Empfohlener redaktioneller Inhalt Mit Ihrer Zustimmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen. YouTube-Video immer laden YouTube-Video jetzt laden Nachbau der La Jamais Contente in einem kurzen Fahrtabschnitt der belgischen Rennstrecke Circuit Zolder. Das galt erst recht, als der junge Ingenieur Ferdinand Porsche gegenüber dem Motorantrieb der "La Jamais Contente" mit seinem Porsche-Lohner-Radnabenmotor das Problem der Kraftübertragung an der Radachse löste. Doch die Zukunft bog falsch ab. Das mag auch für Camille Jenatzy gelten, der als Rennfahrer mit seinem roten Bart auch "diable rouge" genannt wurde. Seine Firma für den Bau von Pariser Elektro-Taxis musste bereits 1901 wieder schließen. Jenatzy wurde danach Rennfahrer für Mercedes. In Deutschland wurde er als "roter Mephisto" als Werbeträger für Zündkerzen bekannt. Tod kam nicht auf der Strecke, sondern im Gebüsch Im Jahr 1913 lud er Freunde zu einer Jagdparty auf sein Anwesen ein und kam in der Nacht auf die Idee, im Gebüsch wie ein Wildschwein zu grunzen. Er wurde erschossen. "Sein Talent, Tiergeräusche nachzuahmen, wurde ihm zum Verhängnis", heißt es in in einer SWR-Doku über Geschwindigkeitsrekorde lakonisch. Motor sowie Antrieb im Detail in einem Nachbau des Rekordwagens, Aufgenommen im Museum Autovision in Altlußheim. La Jamais Contente wurde durch zweie Elektromotoren angetrieben. Die Kraftübertragung erfolgte über Kette an die beiden Hinterrädern. (Bild: CC BY-SA 4.0, Claus Ableiter) Sein Elektroauto "La Jamais Contente" überlebte ihn um viele Jahre. Ziemlich ramponiert wurde es 1933 vom Akku-Lieferanten Fulmen gekauft und gründlich restauriert. Es wanderte dann ins Automobilmuseum im Schloss Compiègne. Außerdem existiert ein Nachbau belgischer Ingenieursstudenten aus dem Jahre 1993, der als Meilenstein der Entwicklung von Elektromobilen auf Autosalons gezeigt wird und ansonsten im Automobilmuseum Mühlhausen besichtigt werden kann. "Die niemals Zufriedene" (Autos sind im Französischen weiblich) behielt ihren Rekord nicht lange. Bald gewannen die Verbrenner, die "Stinkekisten", wie sie der Fahrradfabrikant Adam von Opel nannte. Genau 10 Jahre nach Jenatzys Rekordfahrt knackte der Benz-Blitz die Marke von 200 Stundenkilometern. Es dauerte schließlich noch einmal genau 100 Jahre, bis die monegassische Firma Venturi und Studenten der Universität Ohio eine moderne elektrische Version von Jamais Contente realisierte, die auf einem Salzsee im US-Bundesstaat Utah mit 515 km/h einen Weltrekord aufstellte. Natürlich ist auch dieser Rekord passé, weil Venturi mit einem Nachfolgemodell 549,4 km/h erreichte – Man ist halt niemals zufrieden. (mawi)