Im Februar 1882 hielt der Schweizer Kunsthistoriker Jacob Burckhardt im Basler Kunstmuseum einen Vortrag über die Echtheit alter Bilder. Burckhardt sprach über die Schwierigkeit korrekter Zuschreibungen, diskutierte einige strittige Fälle und schloss seinen Vortrag mit einer überraschenden Pointe. Es sei ein Vergnügen, einen großen Meister in seinen Gemälden wiederzuerkennen, im Grunde aber sei es gleichgültig, ob man den Urheber eines Kunstwerks kenne oder nicht – „wenn es nur in uns die Schwingungen des wahren Schönen hervorbringt“. Burckhardt erinnerte an den Fall eines Mailänder Kunstsammlers, der jede Echtheitsuntersuchung seiner Werke ablehnte, da schließlich nur die Qualität der Werke zähle, nicht der Name ihres Urhebers. „Das war ein Philosoph“, so Burckhardt. Diese noble Gelassenheit in Echtheitsfragen wird auf eine harte Probe gestellt, wenn man es nicht mit Werken eines unbekannten Meisters zu tun hat, sondern mit vorsätzlichen Fälschungen. Der Autor ist dann kein vergessenes Genie der Vergangenheit mehr, sondern ein Zeitgenosse, der nach § 263 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde hergestellt hat. Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. F.A.S. jetzt lesen Sobald der Betrug aufgeflogen ist, verfliegen die von Burckhardt beschworenen „Schwingungen des wahren Schönen“: Die Aura war nur falscher Schein, und auch der Marktwert des vermeintlichen Meisterwerks tendiert schlagartig gegen null. Der Berliner Kunsthistoriker Max J. Friedländer hat diese Entzauberung 1920 treffend beschrieben: „Der typische Vorgang läuft so ab: das Werk taucht auf aus dem Dunkel, wird bewundert, dann durchschaut, verurteilt und sinkt in den Orkus. Es hinterläßt nichts als schweigende Scham bei den Beteiligten.“ Die aktuellsten Beispiele zeigen, dass Fälschungen bis heute diesem Muster folgen. Dazu muss der Fälscher vor allem die Kunstexperten von der Echtheit seiner Produkte überzeugen, wie der Maler und Kunstfälscher Eric Hebborn in seinem „Handbuch für Kunstfälscher“ (1997) vermerkt. Wie alle Historiker, so Hebborn, versuche auch der Kunsthistoriker, Ordnung zu schaffen, wo es nie eine Ordnung gegeben hat. „Wenn wir erreichen wollen, dass der Experte zu einem möglichst günstigen Urteil über unser Werk gelangt, müssen wir wissen, wie er denkt.“ Das Wertesystem von innen aushöhlen Hebborn hatte begriffen, dass die perfekte Fälschung in das Wertesystem der Kunsthistoriker eindringen musste, um es von innen her auszuhöhlen. Das gelang am besten, indem man den Kennern Artefakte präsentierte, die ihren Erwartungen und Kenntnissen in hohem Maße entsprachen. Die subtilsten Fälle sind dabei die sogenannten „freien Fälschungen“. Statt existierende Werke zu kopieren, eignen sich die Autoren dieser Fälschungen den Stil eines Künstlers an und simulieren Werke, die es nie gegeben hat, die aber aussehen, als hätte es sie geben können. Kein Fall demonstriert diesen Vorgang besser als die Fälschungen des Niederländers Han van Meegeren – vom kometenhaften Aufstieg bis zum ernüchternden Sturz in den Orkus. Ein Bild „aus italienischem Privatbesitz“ 1937 wurde in Rotterdam ein bedeutendes Gemälde erworben, „Die Emmausjünger“ von Jan Vermeer van Delft. Das Bild zeigt eine häufig dargestellte Szene des Lukasevangeliums – das Erscheinen Christi im Dorfe Emmaus, wo er drei Tage nach seiner Auferstehung unerkannt im Kreis seiner Jünger sitzt und von diesen erst erkannt wird, als er ihnen das Brot reicht. Das Bild, so hieß es, stamme aus italienischem Privatbesitz, sei in Paris aufgetaucht und schließlich von einer niederländischen Stiftung gekauft worden. Als man es 1938 in Rotterdam erstmals öffentlich ausstellte, waren die Reaktionen überwältigend. Um das Bild herum, so schrieb der Kunsthistoriker Adolf Feulner, sei es zu Recht „still wie in einer Kapelle“. Ein ergreifenderes Bild, so der Rezensent der Zeitschrift „Weltkunst“, habe auch Rembrandt nicht gemalt, und auch Abraham Bredius, ausgewiesener Kenner der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, war überzeugt, es mit einem der wichtigsten Werke Vermeers zu tun zu haben. Eine Prüfung seiner Echtheit sei überhaupt nicht notwendig. „Die Farben sind großartig und charakteristisch: Christus in strahlendem Blau; der Jünger links in feinem Grau; der andere Jünger in Gelb – jenem Gelb des berühmten Vermeer in Dresden.“ Das Bild wurde für 650.000 Gulden gekauft und fortan im Museum Boymans in Rotterdam ausgestellt. Jan Vermeers „Christus im Hause von Martha und Maria“ (vor 1654-1655) ist eines der wenigen Bilder mit religiösen Motiven des Barockmalers. INTERFOTO Im Mai 1945 tauchte ein weiteres Gemälde Vermeers auf – „Christus und die Ehebrecherin“. Das Bild wurde aus einem Salzstollen bei Altaussee in Österreich geborgen, wo Hermann Göring es zusammen mit anderen Werken seiner Sammlung hatte zwischenlagern lassen. Göring hatte das Bild im Tausch gegen zweihundert andere Gemälde aus seiner Privatsammlung erworben. Eine Kommission der Alliierten zur Wiederbeschaffung der von den Nazis geraubten Kunstschätze hatte das Werk im Salzstollen geborgen. Bei den Nachforschungen nach seiner Herkunft stieß man in Den Haag auf Han van Meegeren, einen Maler, der in den Handel verwickelt war. Van Meegeren, der keine Angaben zur Herkunft des Bildes machen konnte, wurde der Kollaboration mit den Nazis beschuldigt und verhaftet. Vor die Wahl gestellt, als Kollaborateur verurteilt zu werden oder sein Wissen preiszugeben, gab van Meegeren an, dass nicht Jan Vermeer van Delft, sondern er selbst das Bild gemalt habe – ebenso wie sieben weitere Vermeers, darunter auch die Emmausjünger im Museum Boymans in Rotterdam. Zunächst wurde van Meegeren kein Glauben geschenkt: Den Experten schien es undenkbar, dass ein so mittelmäßiger Maler wie van Meegeren solche Meisterwerke hervorgebracht haben sollte. Erst als van Meegeren vor den Augen der Untersuchungskommission ein weiteres Bild im Stile Vermeers fälschte, war jeder Zweifel ausgeschlossen. Van Meegeren hatte die Methode angewendet, die später Hebborn in seinem „Handbuch für Kunstfälscher“ beschrieb: erfinden, was in den Denkraum der Experten passt. Neben den Genreszenen kannte man nur zwei Gemälde Vermeers, die religiöse Themen zeigten. Dementsprechend gab es die Vermutung, dass es im Frühwerk des Künstlers vielleicht noch weitere religiöse Themen gegeben haben könnte. Mit den Emmausjüngern wählte van Meegeren ein Sujet, das zielsicher in diese Lücke vorstieß. Das Virus im Œuvre Vermeers Und noch ein weiterer Umstand begünstigte den Erfolg der Fälschung. Sobald es gelungen war, eine erste Fälschung zu etablieren, war der Weg für weitere Fälschungen frei. Das Virus war jetzt in das Œuvre Vermeers eingedrungen, und fortan wurden alle Werke Vermeers – echte wie unechte – auch am ästhetischen Gehalt der Fälschungen gemessen. Tauchte nun ein weiterer van Meegeren auf dem Kunstmarkt auf, so erkannte man umgehend die Ähnlichkeit mit dem kürzlich entdeckten Vermeer. Und integrierte auch die neue Fälschung in das auf diese Weise stetig anwachsende Werk. Während all dieser Ereignisse hatte das Bild mit den Jüngern von Emmaus unverwandt im Museum Boymans in Rotterdam gehangen. Rein äußerlich hatte sich auf der Leinwand ja auch nicht das Geringste verändert: Noch immer hob Christus seine rechte Hand, im Trinkglas vor ihm spiegelte sich das Tageslicht wie zuvor. Noch immer ruhte die Hand eines der Jünger auf der Tischkante, die Gewänder waren grau, blau und braun – wie immer schon. In der Imagination der Betrachter war jedoch jenes kunsthistorische Desaster eingetreten, das Friedländer als „Sturz in den Orkus“ beschrieben hatte. Die da um den Tisch saßen, erschienen auf einmal als Parasiten der Kunstgeschichte. Sie aßen unrechtmäßig erworbenes Brot, trugen geliehene Gewänder, und der scheinheilige Christus segnete das Brot nur zum Hohn. Selbst die Gegenstände auf dem Tisch – der silberne Teller und der weiße, bauchige Krug – hatten plötzlich ihre Unschuld verloren: Im Atelier van Meegerens hatte man identische Utensilien gefunden und als gerichtliches Beweismaterial sichergestellt. Erst vollkommene Harmonie, plötzlich ästhetischer Schrecken Mit der Enttarnung des Gemäldes änderten sich dann auch die Sprache und der Blick seiner Interpreten. So bemerkte der niederländische Publizist Ronald Jonkers 1988 – aus der sicheren Distanz von vier Jahrzehnten –, es sei absolut rätselhaft, dass „ein so hässliches Gemälde wie die ‚Emmausjünger‘ soviel Rührung und ästhetische Anerkennung“ habe auslösen können. „Jeder, der auch nur einmal einen Vermeer im Original oder einen gutgedruckten Bildband mit seinen Arbeiten gesehen hat, muss beim Betrachten der schwülstigen Köpfe van Meegerens stellvertretend vor Scham erröten.“ Wo man zuvor die vollkommene Harmonie Vermeers gesehen hatte, erblickte man nun ein ästhetisches Schreckensregister: „stereotypes Leiden, gespenstische Gesichter, Augenlider als halbe Eierbecher, Ärmel mit unlogischen Falten, sinnentleerte grandiose Gebärden“. Vergleicht man die echten Gemälde Vermeers mit den Fälschungen van Meegerens, erscheint es heute tatsächlich unbegreiflich, dass man hier überhaupt eine Ähnlichkeit hatte erkennen können. Wie war es möglich, dass selbst die Experten eine stilistische Verwandtschaft erkennen konnten, während heutigen Betrachtern die Unterschiede rasch ins Auge fallen? Keine Fälschung vergangenen Stils, sondern des Blicks darauf Eine bemerkenswerte Antwort auf diese Frage hat der Wiener Kunsthistoriker Hans Tietze in einem Aufsatz zur „Ästhetik und Psychologie des Kunstfälschers“ (1933) gegeben. Die Fälschung, so Tietze, interpretiert das historische Vorbild vom speziellen Standpunkt ihrer Zeit aus. Ein Fälscher orientiert sich daher unbewusst am ästhetischen Empfinden seiner eigenen Zeit: Was er imitiert, ist nicht die objektive Erscheinung eines vergangenen Stils, sondern der Blick, den seine Zeit auf diesen historischen Stil wirft. Sobald der Zeitgeschmack ein anderer geworden ist, verändert sich auch der Blick der Gegenwart auf die Kunst der Vergangenheit. Was der Fälschung zunächst ihren Zauber verlieh, offenbart sich nun, so Tietze, als „grinsende Maske, die es verrät“: kein historisches Meisterwerk, sondern eine Karikatur desselben. Eine plausiblere Erklärung für den verblüffenden Erfolg vieler Fälschungen ist bis heute nicht gegeben worden. Folgt man Tietze, wären Fälschungen ein kulturhistorisches Zeugnis für die Veränderlichkeit des Sehens. Unser Bild des siebzehnten Jahrhunderts ist ein anderes als dasjenige van Meegerens und seiner Zeitgenossen. Enttarnte Fälschungen wie diejenigen van Meegerens geben im Rückblick ein anschauliches Bild dieser unterschiedlichen Blickweisen – sie wären so etwas wie Wahrnehmungs-Ruinen, Artefakte, in denen sich der Blick einer vergangenen Zeit auf frühere Epochen konserviert hat. Es gibt keinen Grund, Fälscher als kongeniale Künstler oder erfolgreiche Entlarver kunsthistorischer Beliebigkeit zu feiern. Ebenso unangemessen ist es, sich nachträglich über das Urteil der getäuschten Experten zu erheben. Solche Selbstgewissheit wäre möglicherweise verfrüht: Niemand kann wissen, ob unser Urteil über Echtheit und Falschheit historischer Kunst einer späteren Zeit nicht genauso befremdlich erscheinen wird wie uns die Vermeer-Karikaturen van Meegerens. Abraham Bredius, der Verfasser des Echtheitszertifikats für die „Emmausjünger“, starb, noch bevor er den Sturz seiner Expertise miterleben musste. Han van Meegeren erlag wenige Tage vor seinem Haftantritt einem Herzschlag. Wer die Enttarnung der Fälschungen hingegen überlebte, war Daniël George van Beu­ningen, der Kunstsammler und wohlhabende Reedereibesitzer, der 1941 für sechshunderttausend Gulden van Meegerens „Abendmahl“ erstanden hatte. Beu­ningen beharrte darauf, dass van Meegeren gelogen hatte, dass die geläuterten Experten irrten und sein „Abendmahl“ echt sei.