Verfassungsschutz stuft gesamte AfD als gesichert rechtsextremistisch ein

Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD als gesichert rechtsextremistisch ein. Der Inlandsgeheimdienst teilte mit, der Verdacht, dass die Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge, habe sich bestätigt. Bisher war die AfD aus Sicht des Verfassungsschutzes ein Verdachtsfall. Jetzt stuft der Geheimdienst die Partei als gesichert rechtsextremistisch ein. Das Gutachten veröffentlicht die Behörde nicht. Die AfD wehrt sich juristisch mit einer 48-seitigen Abmahnung gegen die Einstufung. Anzeige Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Der Inlandsgeheimdienst teilte mit, der Verdacht, dass die Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge, habe sich bestätigt und in wesentlichen Teilen zur Gewissheit verdichtet. „Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar“, teilte die Sicherheitsbehörde mit. Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen. Anzeige „Konkret betrachtet die AfD zum Beispiel deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern als nicht gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes“, heißt es in der Mitteilung des Inlandsgeheimdienstes. Äußerungen und Positionen der Partei und führender AfD-Vertreter verstießen gegen das Prinzip der Menschenwürde, erklärten die Vizepräsidenten der Behörde, Sinan Selen und Silke Willems. Dies sei maßgeblich für die nun getroffene Einschätzung. Anzeige Lesen Sie auch Artikeltyp : Meinung Kulturkampf Das antiliberale Zeitalter AfD geht rechtlich gegen Verfassungsschutz vor Die AfD wehrt sich rechtlich gegen die Entscheidung. In einer 48-seitigen Abmahnung der Rechtsanwaltskanzlei Höcker wird das Bundesamt für Verfassungsschutz aufgefordert, bis Montag 08.00 Uhr die Einstufung öffentlich zu korrigieren. „Sollte eine entsprechende Erklärung nicht erfolgen, werden wir unserer Mandantin anraten, ein weiteres gerichtliches Eil- und Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln anzustrengen“, heißt es darin. Kritisiert wird unter anderem, dass der Bundesverfassungsschutz in seiner Mitteilung keine Belege für die Einstufung mitliefere. Die Partei hatte sich schon zuvor gegen die Einstufung gewehrt, dass „verfassungsfeindliche Äußerungen und Verhaltensweisen“ den Charakter der AfD prägten und sie „von einer die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnenden Grundtendenz beherrscht“ werde, heißt es in dem Schreiben. Darin wird betont, dass sich die Partei vielmehr ausdrücklich zu dem Volksbegriff des Artikels 116 Grundgesetz bekenne. Darin heißt es: „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“ Kritisiert wird zudem, dass einzelne Medien vorab Informationen erhielten, den Medien keine entlastenden Informationen mitgeteilt worden seien und die erfolgte Einstufung kurz vor dem Regierungswechsel auch in die Vorwahlkampf-Phase für die anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen eingreife. Drei Landesverbände zuvor gesichert rechtsextremistisch Die Landesämter für Verfassungsschutz in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hatten die jeweiligen AfD-Landesverbände bereits zuvor als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Nachdem Medien im Februar 2021 über eine mutmaßliche Einstufung der Gesamtpartei als sogenannter Verdachtsfall berichtet hatten, musste der Verfassungsschutz auf Geheiß des Kölner Verwaltungsgerichts noch rund ein Jahr warten, bis er diese Einschätzung publik machen und die Partei entsprechend beobachten konnte. Im Mai 2024 hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden, dass der Verfassungsschutz die AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft hat. Der Rechtsstreit geht noch weiter. Lesen Sie auch Weltplus Artikel Belastung für die Justiz „Notwehr“? Die Klagewut der AfD und ihre Folgen Auch bei einer Beobachtung als Verdachtsfall ist der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bereits erlaubt. Zu diesen zählt etwa der Einsatz von sogenannten V-Leuten – das sind Menschen mit Zugang zu internen Informationen. Auch Observationen oder Bild- und Tonaufnahmen sind erlaubt. Bei Auswahl und Einsatz der Mittel muss allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Bei einem als gesichert extremistisch eingestuften Beobachtungsobjekt sinkt die Schwelle für den Einsatz solcher Mittel. Mit einem Parteiverbot hat die Beobachtung durch das BfV zwar vordergründig nichts zu tun. Denn diese kann nur von Bundestag, Bundesrat oder der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden. Eines der drei Verfassungsorgane könnte sich aber durch die neue Einschätzung des Inlandsnachrichtendienstes ermutigt fühlen, einen solchen Antrag zu stellen. Grundlage der nun getroffenen Entscheidung ist ein umfangreiches Gutachten des BfV, das nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt ist. Eine Veröffentlichung des internen Arbeitspapiers, in das auch Erkenntnisse aus dem zurückliegenden Bundestagswahlkampf eingeflossen sind, ist nicht vorgesehen. Gutachten zitiert Aussagen von Abgeordneten der AfD Nach WELT-Informationen wird in dem Gutachten unter anderem der Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck zitiert, der auch Beisitzer im AfD-Bundesvorstand ist. Bei einem Auftritt im brandenburgischen Zossen hatte Gnauck im vergangenen Jahr gesagt: „Wir müssen auch wieder entscheiden dürfen, wer überhaupt zu diesem Volk gehört und wer nicht. Es gehört mehr dazu, Deutscher zu sein, als einfach nur eine Staatsbürgerurkunde in der Hand zu haben.“ Ein anderes Beispiel in dem Gutachten ist der brandenburgische AfD-Landtagsabgeordnete Dennis Hohloch, der gesagt hatte, Multikulti bedeute „Traditionsverlust, Identitätsverlust, Verlust der Heimat, Mord Totschlag, Raub und Gruppenvergewaltigung“. Zitiert wird nach WELT-Informationen auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Reichardt, der in einem Beitrag auf X geschrieben hatte, eine verfehlte Migrationspolitik und Asylmissbrauch hätten zum „100.000-fachen Import von Menschen aus zutiefst rückständigen und frauenfeindlichen Kulturen geführt“. Lesen Sie auch Weltplus Artikel SPD gegen Rechtsaußen-Partei Im Kampf gegen die AfD setzt Schwesig alles auf eine Karte Die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte, der Verfassungsschutz habe seine Entscheidung selbst getroffen. „Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat einen klaren gesetzlichen Auftrag, gegen Extremismus vorzugehen und unsere Demokratie zu schützen“, sagte sie. Dabei arbeite die Sicherheitsbehörde eigenständig. Die neue Einstufung sei das Ergebnis einer umfassenden Prüfung, deren Ergebnisse in einem 1100-seitigen Gutachten festgehalten seien. „Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben“, versicherte Faeser. Die vorherige Bewertung der Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall sei von Gerichten bestätigt worden. Auch die neue Bewertung werde sicher von unabhängigen Gerichten überprüft werden. Die FDP-Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann begrüßte die Entscheidung des Verfassungsschutzes. Sie überfällig gewesen, sagte Strack-Zimmermann der dpa. „Die AfD ist nicht einfach eine Protestpartei, sondern eine rechtsextremistische Bewegung, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zerstören will“, so Strack-Zimmermann. Es sei gemeinsame Verantwortung, dieser Gefahr entschieden entgegenzutreten – politisch, gesellschaftlich und rechtlich. Nötig seien eigene politische Antworten und nicht ein Hinterherlaufen hinter den Themen der AfD. Strack-Zimmermann sagte weiter: „Die Demokratie ist wehrhaft, und sie muss es auch bleiben. Eine Kooperation mit der AfD verbietet sich für alle demokratischen Parteien.“ Strack-Zimmermann ist Mitglied des FDP-Präsidiums und Mitglied des Europäischen Parlaments. dpa/rct/Reuters/gub/krö/jml