Die SPD-Spitze rechnet mit einem Ja ihrer Basis zur großen Koalition. Auf den letzten Metern vor dem Ende des Mitgliedervotums aber ist eine gewisse Nervosität zu spüren. So ist an der Parteibasis die Klage zu hören, die SPD-Zentrale habe das Mitgliedervotum schlecht organisiert – vor allem mit Blick auf ältere, digital nicht affine Mitglieder. Die Entscheidung, auf eine Abstimmung per Brief verzichtet zu haben, dürfe die Zahl der zustimmenden Ja-Voten reduziert haben, ist an der Basis zu hören. Bis Dienstag, 23.59 Uhr, konnten die gut 358.000 Parteimitglieder online über den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD abstimmen. Das Ergebnis soll am Mittwochmorgen zunächst von der Mandatsprüfungs- und Zählkommission der SPD festgestellt und dann an Präsidium und Parteivorstand weitergeleitet werden. Im Anschluss informiert Generalsekretär Matthias Miersch die Öffentlichkeit. CDU und CSU haben dem Koalitionsvertrag bereits zugestimmt. „Ich gehe davon, dass es eine Zustimmung gibt“, hatte Miersch am Montag gesagt. Die nötige Mindest-Beteiligung von 20 Prozent bei der Abstimmung sei erreicht. In der SPD gab es bereits zwei Mitgliedervoten über die Bildung einer großen Koalition. 2018 stimmten 66 Prozent der SPD-Mitglieder dafür; 2013 votierten gar 76 Prozent mit Ja. Die Mitglieder seien pragmatischer und etwas konservativer als die Funktionäre, heißt es in der SPD. Sie wüssten um ihre Verantwortung. Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Klingbeil können mit diversen Erfolgen im Koalitionsvertrag argumentieren, dem Sondervermögen und sieben Ministerposten für die SPD. Die Dynamik im Falle eines Neins lässt sich kaum vorhersagen Andererseits: Friedrich Merz (CDU) ist in der SPD erheblich unbeliebter in der SPD als einst Angela Merkel (CDU). „Ich bekomme Würgereiz, wenn ich heute an eine große Koalition und Herrn Merz als Kanzler denke“, sagte im Januar die damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier dem Tagesspiegel. Und wenn die SPD-Mitglieder, wider Erwarten, mehrheitlich mit Nein stimmen? Die Dynamik im Falle eines Neins lässt sich in der Tat kaum vorhersagen. „Lars Klingbeil muss dann zurücktreten“, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter, der sich namentlich nicht zitieren lassen will. Gleiches gelte für die Verhandlungsgruppe, die mit der Union den Koalitionsvertrag festgezurrt habe. Nach einem Ja der SPD zum Koalitionsvertrag dürfte jeden Tag der Druck auf Klingbeil wachsen, die Namen der Minister zu veröffentlichen. Er selbst will das erst am 5. Mai tun, also am Tag bevor der Kanzler gewählt und die Minister vereidigt werden sollen. Dieser Plan lasse sich nicht halten, sagen selbst Klingbeil wohlgesonnene Genossen. Es brodelt massiv in der Partei. SPD-Bundestagsabgeordneter Der Druck, innerhalb der SPD Klarheit zu schaffen, ist groß, weil auch weitere Personalfragen dringend geklärt werden müssen, die sich von den Kabinettsposten ableiten lassen: Wer führt künftig die Fraktion? Wer führt die Partei? Wer wird Fraktionsvize, Parlamentarische Geschäftsführerin? Wer wird Spitzenkandidat bei der NRW-Landtagswahl 2027? Was wird aus SPD-Co-Chefin Saskia Esken? Offen. Esken vermittelt bisher intern den Eindruck, in der ersten Reihe weitermachen zu wollen. Ob sie beim SPD-Parteitag Ende Juni abermals als SPD-Chefin kandidieren, lieber Ministerin werden oder ganz auf Spitzenämter verzichten will – darüber wird bei den Sozialdemokraten nur gemutmaßt. Niemand weiß, es offenbar. 316 Stimmen sind nötig, damit Friedrich Merz (CDU) zum Kanzler gewählt wird. In einem dritten Wahlgang bräuchte es nur noch eine einfache Mehrheit. Auch vor der Führung der baden-württembergischen SPD, ihrem Landesverband, hielt sich Esken bedeckt. Der dortige Generalsekretär Sascha Binder hatte Esken vorige Woche öffentlich die Eignung für ein Ministeramt abgesprochen. „Es brodelt massiv in der Partei“, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter. Sollte Esken SPD-Chefin bleiben oder Ministerin werden, so drohe angesichts ihrer geringen Popularität, eine „Implosion“. Die Wahl des Kanzlers, angesetzt für den 6. Mai, ist geheim. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier könnte Merz theoretisch auch ohne das Ja der SPD zum Koalitionsvertrag – und damit zur Koalition – als Kanzler vorschlagen. Im ersten und zweiten Wahlgang ist eine absolute Mehrheit der Abgeordneten, also 316 der 630, nötig. Im dritten Wahlgang ist diese „Kanzlermehrheit“ nicht mehr nötig. Es reicht eine einfache Mehrheit. „Bindend“ sei das Mitgliedervotum, sagt die SPD. Doch die Abgeordneten sind frei, nicht an Weisungen gebunden. „Ein Mitgliederentscheid entfaltet keine rechtliche Bindungswirkung“, schreibt der Staatsrechtler Stefan Ulrich Pieper in einem Aufsatz „Zur Rolle des Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung“. Theoretisch könnte die SPD also Merz zum Kanzler wählen und eine von ihm geführte Minderheitsregierung tolerieren. Politisch betrachtet wäre das heikel und dürfte mittelfristig zu Neuwahlen führen. Das wäre heikel für die SPD. Sie liegt in den Umfragen derzeit zwischen 14 und 16 Prozent, also noch unter dem historischen 16,4-Prozent-Debakel bei der Bundestagswahl im Februar.