„Sommermärchen“-Prozess: Verfahren gegen früheren DFB-Chef Zwanziger eingestellt

Als der sogenannte Sommermärchen-Prozess am 4. März 2024 begann, waren Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger angeklagt, zwei frühere Präsidenten des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) und mit Schmidt dessen langjähriger Generalsekretär. Nun, 28 Prozesstage später, sind die Verfahren gegen alle drei eingestellt. Am Mittwoch verließ Theo Zwanziger den Schwurgerichtssaal des Frankfurter Landgerichts und stellte fest: „Ich bin ein glücklicher Mensch, ich danke der Justiz.“ Sein Anwalt Hans-Jörg Metz und die Oberstaatsanwalt Jesco Kümmel hatten sich im Laufe des Aprils geeinigt, auf die Anregung des Gerichts eingehen zu wollen: Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage. 10.000 Euro zugunsten der Kinderherzstiftung. Freundliche Worte für Theo Zwanziger Das Geld war schon unterwegs, als die Vorsitzende Richterin Eva-Marie Distler für Zwanziger noch einmal überaus freundliche Worte fand. Sie streute dem Angeklagten, dem einzigen, der vor Gericht vollumfänglich ausgesagt hatte, zum Abschied noch einmal Blumen. Die Verteidigung im Verfahren habe zwar „holprig“ begonnen – Distler hätte auch das Wort konfrontativ wählen können –, aber: „Wir haben uns aneinander gewöhnt und sogar den gleichen Humor bewiesen.“ Schon im März, als Distler den bisherigen Verfahrensstand aus Sicht des Gerichts zusammengefasst hatte, war ihr Schlüsselsatz gefallen: Zwanziger sei nicht der Richtige auf der Anklagebank gewesen. Oberstaatsanwalt Kümmel schloss sich den Bewertungen der Richterin von vor einem Monat am Mittwoch ausdrücklich an. Und so nahm dieser Prozess für Theo Zwanziger mit dem Einstellungsbeschluss um kurz nach elf am Mittwoch das Ende, mit dem er einverstanden sein konnte. Mehr Freispruch, ohne dass ein Urteil ergeht, ist vor Gericht kaum zu erreichen. Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger im Landgericht Frankfurt dpa Zwanzigers Anwalt Metz hatte zuvor festgestellt, dass auch „der Abstand“ gewahrt geblieben sei. Er bezog sich auf die Höhe der Geldauflage, die erheblich unter jener liegt, mit der Wolfgang Niersbach im August 2024 aus dem Verfahren aussteigen konnte (25.000 Euro), und noch weit deutlicher unter der Summe, die Horst R. Schmidt aufwenden musste, um das aus gesundheitlichen Gründen seit Monaten ruhende Verfahren in der vergangenen Woche Richtung Einstellung zu bewegen: 65.000 Euro. „Der ein oder andere mag sich fragen, was das soll“, hatte Distler am Mittwoch gesagt – ein so „langwieriger und kostenintensiver Prozess“, ein Verfahren, dessen Ursprung in den Ermittlungen vor fast zehn Jahren nach Veröffentlichungen im „Spiegel“ zu Zahlungen rund um die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 liegen und das nun nur noch gegen den DFB als juristische Person geführt wird. „Ich erinnere nur an die Schweiz und Qatar“ Distler erläuterte, was das soll: Ein Verfahren wie dieses sei eben auch Ausdruck einer Rechtskultur, die es so anderenorts nicht gebe – „ich erinnere nur an die Schweiz und Qatar“, sagte Distler wörtlich. „Wir leben und schützen den Rechtsstaat.“ Es sei richtig und die Pflicht der Staatsanwaltschaft gewesen, die Ermittlungen aufzunehmen, diese seien dann „mit Akribie“ betrieben worden. Kaum, dass Zwanziger sich verabschiedet hatte, mit der Zusage im Übrigen, den Rechtsfrieden wahren zu wollen und seine Zivilklage gegen das Land Hessen zurücknehmen zu wollen, wurde der Prozess fortgesetzt, nun im sogenannten objektiven Verfahren gegen den DFB. Die Staatsanwaltschaft beziffert den Steuerschaden inzwischen, wesentlich niedriger als ursprünglich, auf 2.726.924 Euro, DFB-Anwalt Jan Olaf Leisner bestritt umgehend vehement, dass dieser überhaupt vorliegt. Distler ließ sich mit einem der Länder verbinden, an deren rechtsstaatlichen Grundsätzen zuvor gewisse Zweifel angeklungen waren: In Bern saßen Urs Linsi, der frühere Generalsekretär des Internationalen Fußball-Verbands FIFA, und später Günter Netzer. Linsi ist ein nicht unwesentlicher Zeuge bei der Beantwortung der Frage, warum die Rückzahlung des Darlehens an den Geschäftsmann Robert Louis-Dreyfus in Höhe von zehn Millionen Franken über die FIFA lief. Das Geld, nur zur Erinnerung, wir sind ja im 28. Verhandlungstag, hatte Franz Beckenbauer bei Louis-Dreyfus geborgt und nach Qatar geschickt, an eine Firma des FIFA-Funktionärs Mohamed Bin Hammam. 6,7 Millionen Euro für Kemco in Doha, damit die deutschen WM-Ausrichter einen Zuschuss von der FIFA erhalten würden, nämlich 250 Millionen Euro. Ende Legende, was den LED-Teppich angeht Ein Zuschuss zum Zuschuss, eine Provision, ein klassisches Schmiergeld. Meinen viele. Aber nicht Urs Linsi, der am Mittwoch dabei blieb, dass eine solche Zahlung, um Geld zu bekommen, „gar keinen Sinn macht“. Und überhaupt, auch sage er: In seiner Verantwortung, unter seiner Verantwortung sei ihm nicht bewusst, dass „so etwas“, Korruption bei der FIFA also, überhaupt möglich gewesen wäre. „Die FIFA als sauberer Arbeitgeber, auch das nehmen wir zur Kenntnis“, hielt Richterin Distler fest. Und damit war auch die prozessbegleitende Ironie vom subjektiven ins objektive Verfahren überführt. Gegen Linsi hatten die Frankfurter Staatsanwälte einst ebenfalls ermittelt, das Ermittlungsverfahren aber gegen Zahlung von 150.000 Euro eingestellt. Der Schweizer blieb bei seiner Version: Das Geld für Dreyfus sei für die im Berliner Olympiastadion geplante, aber letztlich geplatzte Eröffnungsgala und einen völlig neuen, geradezu revolutionären LED-Teppich nötig gewesen. Legendär. Aber wenn der Prozess eine Erkenntnis ganz gewiss gebracht hat: Ende Legende, was den LED-Teppich angeht. „Die FIFA als sauberer Arbeitgeber, auch das nehmen wir zur Kenntnis“: die Vorsitzende Richterin Eva-Marie Distler dpa Linsi aber machte unverdrossen so weiter: Das Fax aus dem Herbst 2004 von einem FIFA-Faxgerät, mit dem Rückzahlungsmodalitäten skizziert werden und dessen schweizerdeutsche Diktion zumindest auffällig ist, hätten jede Menge Leute senden können, schließlich sei der Eingangsbereich der FIFA-Zentrale so etwas wie eine offene Hotellobby gewesen. Er jedenfalls habe keinesfalls an der Legende für die DFB-Funktionäre gestrickt, mit der die ihre Schuld bei Louis-Dreyfus begleichen konnten. Linsi bekam wenige Nachfragen. Schade, wenigstens in einem Punkt. Schließlich hatte er in seinem Vortrag zum Einstand als Zeuge gesagt, was die Abwicklung der Zahlung anging, hätten Theo Zwanziger und der damalige FIFA-Präsident Joseph Blatter im Frühjahr 2005 häufiger telefoniert. Zwanziger hatte ausgesagt, nichts von den Hintergründen der Zahlung an Louis-Dreyfus gewusst zu haben. Haben Sie darüber gesprochen, Herr Netzer? Seine Ausführungen waren ein wesentlicher Grund, warum Gericht und Staatsanwaltschaft zu der Überzeugung gekommen waren, in der Person Theo Zwanziger nicht den richtigen Mann auf die Anklagebank gesetzt zu haben. Aber als Linsi seine Behauptung vortrug, war der einstige Angeklagte Zwanziger längst Kaffee trinken als glücklicher Mensch. Günter Netzer, deutscher Fußball-Heros von einst, später gewiefter Geschäftsmann, inzwischen längst auch Schweizer Bürger, stand zwar jüngst dem DFB in dessen Museum in Dortmund zur Ausstellungseröffnung anlässlich seines 80. Geburtstag zur Verfügung, nicht aber dem Frankfurter Landgericht für eine persönliche Befragung. Am Nachmittag saß er in Bern und ließ sich ebenfalls per Videolink befragen. Er brachte seine Aussagen mit mehr Gravitas, dem aus Funk und Fernsehen bekannten spröden Netzer’schen Charisma vor. Einerseits. Es war einmal: Horst R. Schmidt, Theo Zwanziger, Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach (von links nach rechts, Bild von 2005) Picture Alliance Andererseits: Der Erkenntnisgewinn war höchst bescheiden. Weder mit Zwanziger noch mit Schmidt hat er zur Sache gesprochen, als er beide am 14. August 2003 vom Flughafen Lugano zu Louis-Dreyfus nach Caslano fuhr, und auch nicht, als man sich gemeinsam auf die gut dreistündige Rückfahrt nach Zürich machte. Und nein, mit Franz Beckenbauer hat er nach den „Spiegel“-Veröffentlichungen auch nicht über den „Sommermärchen“-Skandal gesprochen.