Gleichberechtigte Partner? Warum der Ukraine-Deal Washington mehr nützt als Kiew

Mitten in den stockenden Friedensverhandlungen zwischen Kiew und Moskau setzen die USA ein machtpolitisches Zeichen: Ein „wirtschaftliches Partnerschaftsabkommen“ vertieft die strategische Partnerschaft zwischen der Ukraine und den Vereinigten Staaten und sichert dabei Washington privilegierten Zugang zu ukrainischen Rohstoffen. Damit verschiebt sich das Gleichgewicht der kommenden Nachkriegsordnung wirtschaftlich zugunsten Washingtons. Was der Fonds konkret umfasst Der Wiederaufbau- und Investitionsfonds soll mit mehreren Milliarden Dollar ausgestattet werden, wobei die genaue Höhe nicht veröffentlicht wurde. Finanziert wird er durch direkte Beiträge beider Regierungen sowie private Kapitalbeteiligungen. Investiert werden soll in die Erschließung und Förderung seltener Erden, Graphit, Lithium und Titan – allesamt strategisch bedeutsame Rohstoffe für Rüstungsindustrie, Energiewende und Hightech-Produktion. Daneben sollen Pipelineprojekte, Verarbeitungsanlagen und Eisenbahnverbindungen modernisiert oder neu aufgebaut werden. Besonders sensibel ist die vorgesehene Beteiligung an der Modernisierung des ukrainischen Gastransportsystems – ein Projekt mit direkter Relevanz für den europäischen Energiemarkt. Die operative Steuerung des Fonds liegt bei einem binationalen Gremium, das paritätisch besetzt ist. Entscheidungen zu Investitionsprojekten müssen konsensual getroffen werden. Für die ersten zehn Jahre ist eine vollständige Reinvestition aller Gewinne in die Ukraine vereinbart. In Aussicht gestellt wurde zudem eine ergänzende Unterstützung der Ukraine im Bereich Luftabwehr durch amerikanische Systeme. Dieser Ressourcendeal, welcher weit über klassische Wiederaufbauhilfe hinausgeht und Washington einen privilegierten Zugang zu kritischen Mineralien und natürlichen Ressourcen der Ukraine gewährt, war über Wochen ein bedeutender Streitpunkt zwischen Washington und Kiew. Die Einigung war fast erreicht, wurde jedoch im Februar durch einen öffentlichen Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office vorerst gestoppt. Erst kürzlich konnten die Verhandlungen wieder aufgenommen werden. US-Präsident Donal Trump Susan Walsh/AP Beide Seiten begrüßten das Abkommen. US-Finanzminister Scott Bessent erklärte, die USA seien entschlossen, „das Ende dieses grausamen und sinnlosen Krieges zu ermöglichen“. Das Abkommen sende „ein klares Signal an Russland, dass die Trump-Regierung einen Friedensprozess unterstütze, der auf eine freie, souveräne und langfristig wohlhabende Ukraine ausgerichtet ist“. Die erste stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Julija Swyrydenko schrieb auf X: „Im Namen der ukrainischen Regierung habe ich das Abkommen über die Errichtung eines US-ukrainischen Wiederaufbau-Investitionsfonds unterzeichnet. Gemeinsam mit den USA schaffen wir einen Fonds, der globale Investitionen in unser Land lenken wird.“. Dennoch drohte das Abkommen in letzter Minute erneut zu scheitern, denn Washington warf Kiew vor, sich von früheren Zusagen zu distanzieren – just als Swyrydenko in der amerikanischen Hauptstadt eintraf. Eine mit den US-Verhandlungen vertraute Person gab an, dass die letzten Streitpunkte Fragen der Regierungsführung, Transparenzmechanismen und Rückverfolgbarkeit der Mittel betrafen. Ein Scheingleichgewicht der Wirtschaftsinteressen Die Konstruktion des Fonds folgt dem Prinzip der formalen Parität: 50/50-Struktur, gemeinsame Auswahl von Projekten, Reinvestition der Gewinne in der Ukraine. Doch dieses Modell der Gleichberechtigung ist trügerisch, denn die dahinterliegende Machtarchitektur ist alles andere als symmetrisch. Wer in einer kriegsversehrten Volkswirtschaft das Kapital liefert, die Waffen bereitstellt und den Zugang zu Märkten kontrolliert, diktiert letztlich auch die Bedingungen. Der Deal offenbart in aller Deutlichkeit: Die USA verstehen ihre Unterstützung nicht mehr als altruistischen Beitrag zur Stabilität Europas, sondern als strategisch abgesicherte Investition. Nicht zufällig wird das Abkommen in Washington inoffiziell mit dem Marshallplan verglichen – doch der Vergleich hinkt. Während das europäische Wiederaufbauprogramm nach dem Zweiten Weltkrieg auch demokratische Institutionen stärken sollte, ist der neue Ukraine-Fonds vor allem rohstoff- und renditeorientiert. Was einst als geopolitische Stabilisierung durch Wohlstand gedacht war, wird nun zur Ressourcensicherung durch Investitionslogik umgedeutet. Präsident Donald Trump hatte auf diesen Fonds persönlich gedrängt – als eine Art Rückzahlung für bereits geleistete Hilfe. Damit bindet er humanitäre und militärische Unterstützung an eine neue Form ökonomischer Gegenleistung. Die Ukraine als Schuldner einer globalen Ordnung, die nicht auf Solidarität, sondern auf Berechnung basiert. Ein solcher Zugriff auf strategische Ressourcen unter dem Deckmantel des Wiederaufbaus erinnert an frühere US-Interventionen. Nach dem Irakkrieg etwa wurden großflächige Öl- und Infrastrukturlizenzen vor allem von amerikanischen Unternehmen zugeschlagen, während ein „Iraq Reconstruction Management Office“ im US-Finanzministerium entstand – mit vergleichbarem institutionellem Design. Auch in Afghanistan koppelte Washington Hilfe an wirtschaftspolitische Reformen, die US-amerikanischen Investoren begünstigten. Der Ukraine-Fonds folgt damit einem bekannten Muster: Hilfe wird zur Hebelwirkung, Souveränität letztlich zur Verhandlungsmasse. Frieden gegen exklusive Zugriffsrechte Der geopolitische Kontext macht diesen Vertrag besonders brisant. Das Abkommen wurde nach einem Treffen zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj am Rande der Trauerfeier für Papst Franziskus im Vatikan beschlossen. Symbolisch überhöht, politisch verkürzt. Während der Papst das moralische Prinzip des Friedens verkörperte, definieren die USA ihn als Transaktion – abhängig von Ressourcenfluss und Kapitalbindung. Am Rande der Trauerfeier des Papstes im Vatikan gab es eine kurze Aussprache zwischen Trump und Selenskyj. AP Zwar betont Kiew, dass der ukrainische Staat die vollständige Kontrolle über alle Rohstoffe behält. Auch blieb die Forderung Washingtons nach einseitiger Aufsicht über die Projektvergabe erfolglos. Doch diese Souveränitätsgarantien sind fragil. In der Praxis bedeutet die faktische Abhängigkeit von amerikanischer Finanzierung und Sicherheitsgarantien einen strukturellen Kontrollverlust. Julija Swyrydenko betonte, das Abkommen stelle sicher, dass die vollständige Eigentümerschaft und Kontrolle über „alle Ressourcen auf unserem Territorium und in unseren Hoheitsgewässern“ bei der Ukraine verbleibe. Der ukrainische Staat bestimme, welche Rohstoffe gefördert würden. Die Partnerschaft sei „gleichberechtigt“ organisiert – der Fonds sei zu gleichen Teilen strukturiert. Ferner erklärte Swyrydenko, dass staatliche Unternehmen wie der Öl- und Gasproduzent Ukrnafta und das Atomkraftunternehmen Energoatom in staatlichem Besitz bleiben würden. Der Fonds werde „gemeinsam verwaltet“, so Swyrydenko, ohne dass eine Seite dominieren könne – ein Zugeständnis, das Kiew Washington abrang, nachdem die USA zunächst weitreichende Kontrolle über ukrainische Rohstoffe gefordert hatten. Das Abkommen enthalte keine Bestimmungen über ukrainische Schulden gegenüber den USA. Seine Umsetzung ermögliche beiden Ländern, „ihr wirtschaftliches Potenzial durch gleichberechtigte Zusammenarbeit und Investitionen zu entfalten“. Zudem betonte Swyrydenko, das Abkommen verletze weder die ukrainische Souveränität noch den Kurs in Richtung EU-Beitritt – dies sei in der Formulierung verfassungs- und EU-kompatibel sichergestellt worden. Dass Swyrydenko explizit betont, das Abkommen sei sowohl mit der Verfassung als auch mit dem EU-Integrationskurs vereinbar, zeigt nicht zuletzt die Nervosität in Kiew. Denn die geopolitischen Verflechtungen dieses Deals könnten mittel- bis langfristig auch Brüssel vor ernsthafte Herausforderungen stellen. Die EU am Rand des Rohstoffwettlaufs Während Europa mit der Ukraine institutionelle Reformen und Rechtsstaatlichkeit verhandelt, sichern sich die USA wirtschaftliche Ankerpunkte: Rohstoffe, Infrastruktur, Sicherheitskooperation. Das Spannungsverhältnis zwischen europäischer Autonomie und amerikanischer Dominanz wird damit weiter verschärft. Insbesondere in energie- und industriepolitischen Fragen überschneiden sich die Interessen nicht – sie kollidieren zunehmend. Die EU könnte sich bald in einer paradoxen Lage wiederfinden: politischer Schutzpatron eines Landes, dessen wirtschaftliche Kernbereiche bereits unter US-Einfluss stehen. Sollten in Zukunft europäische Unternehmen etwa bei Ausschreibungen gegen amerikanische Investoren den Kürzeren ziehen, wären neue Spannungen innerhalb des Westens vorprogrammiert. Putins Propaganda und der Preis der Hilfe Auch Russland wird diesen Deal aufmerksam registrieren. Die offizielle Rhetorik – Unterstützung für eine „freie, souveräne und wohlhabende Ukraine“ – kontrastiert mit dem wirtschaftlichen Zugriff, den sich Washington nun sichert. Aus Sicht des Kremls bestätigt sich damit ein zentrales Narrativ: Dass es den USA nicht um die Ukraine als souveräne Nation gehe, sondern um ihre geopolitische Verwertung. Eine Luftaufnahme eines Ilmenit-Tagebaus in einer Schlucht in der Zentralukraine. Efrem Lukatsky/AP Diese Lesart mag propagandistisch verzerrt sein – sie ist aber nicht völlig aus der Luft gegriffen. Wenn die amerikanische Hilfe in eine Geschäftsbeziehung überführt wird, verliert sie ihre moralische Überlegenheit. Frieden wird dann nicht durch Diplomatie geschaffen, sondern durch Verträge mit Rendite. Der neue Fonds ist damit mehr als nur ein Wiederaufbauinstrument. Er ist ein geopolitisches Werkzeug, das amerikanische Interessen absichert, Trumps innenpolitisch motiviertes Narrativ der „rückzahlbaren Hilfe“ bedient – und das internationale Kräftemessen um die Zukunft der globalen Ordnung wirtschaftlich neu ordnet. Denn während sich die USA Zugang zu ukrainischen Rohstoffen sichern, verfolgt China ähnliche Ziele in Afrika und Südamerika – teils mit ähnlichen Instrumenten. Der Ukraine-Deal markiert daher nicht nur ein bilaterales Abkommen, sondern einen geopolitischen Standortwettbewerb um die Kontrolle kritischer Ressourcen. Damit ist der Wiederaufbau- und Investitionsfonds kein bloßes Wiederaufbauinstrument, sondern ein Hebel strategischer Einflussnahme. Für die Ukraine birgt er Chancen und strukturelle Risiken zugleich. Für Europa ist er ein Warnsignal: Wer die wirtschaftliche Neuordnung Osteuropas nicht aktiv mitgestaltet, verliert auch seine politische Gestaltungsmacht. Wenn Washington sich dauerhaft exklusive Zugänge zu ukrainischen Ressourcen sichert, droht Europa zum Statisten einer Nachkriegsordnung zu werden – geprägt nicht von europäischer Autonomie, sondern von einer neuen US-zentrierten Rohstoffweltordnung im globalen Wettstreit mit China.