Insolvenz des KFC Uerdingen: „Es ist, als wenn ein Angehöriger stirbt“

Das letzte Toröö? Bei über 70 Spielen des KFC Uerdingen war Grotifant Michael Kirchner, seit er 2021 in das Kostüm schlüpfte. Das Maskottchen ist bekannter als der ganze Verein. Nach der erneuten Insolvenz des Klubs kam es bei einem Treffen zum (vorläufigen) Abschied von der Grotenburg. Anzeige Eigentlich sollte Michael Kirchner jetzt das Grotenburg-Stadion im Krefelder Stadtteil Bockum zum Beben bringen. Es ist 13.50 Uhr am vergangenen Samstag. In zehn Minuten hätte der KFC Uerdingen zum Regionalliga-Derby gegen den Wuppertaler SV antreten sollen – hätte. Denn am Ostermontag wurde der Spielbetrieb beim Kult-Klub mit sofortiger Wirkung eingestellt. Spieler, Trainer, Gegner – alle nicht mehr gekommen. Im Gegensatz zu Kirchner, der wenige Minuten zuvor im Schatten der Nordtribüne seine Arbeitskleidung überstreifte. „Vielleicht zum letzten Mal“, murmelt der ansonsten fröhliche Familienvater. Erst den grauen Plüsch-Einteiler, darüber der Trikotsatz in Größe XL mit der Rückennummer 05, zum Schluss der Schädel mit dem krummen Rüssel. Fertig ist: der Grotifant. Das einzige Maskottchen Deutschlands, das bekannter ist als alle Spieler seines Teams zusammen. Anzeige Und bald Geschichte. Die „Sport Bild“ hat den Grotifanten zur Abschieds-Tour in der Grotenburg getroffen. „Zum letzten Toröö“, wie das Blatt titelte. „Skandale wurden mir strikt verboten“ Seit vier Jahren verkörpert Kirchner den Kult-Dickhäuter, der wegen wilder Skandale und Schlägereien über Jahre hinweg die Schlagzeilen bis nach China und Australien füllte. Kirchner wiederum sei als sechster Mann im Kostüm „der untypischste Grotifant“ gewesen, wie er sagt: „Immer brav, Skandale wurden mir strikt verboten.“ Und doch war der Elefant für ihn immer mehr als nur eine Rolle. Anzeige Mal wieder müssen eine Insolvenz bewältigt und ein Neustart geschafft werden: Nicht nur Kirchner hofft, dass es auch diesmal weitergeht bei seinem Herzensklub Quelle : Jonas Ratermann Seine WhatsApp-Nachrichten beendet er mit „Gruß Grotifant, Michael Kirchner“. Autogrammkarten hat beim KFC nur der 48-Jährige – kein Spieler oder Trainer. Richtige Stars gibt es ohnehin nicht. Die bekanntesten Namen dieser Saison sind Kim Sané (30/Bruder von Leroy) und Tim Brdaric (24/der Sohn von Thomas). Lesen Sie auch Weltplus Artikel Doktor Wolfgang Feil Diese zehn Sport-Übungen empfiehlt Deutschlands führender Arthrose-Experte Beim Gang durch die leere Grotenburg merkt man: Das Ohnmachtsgefühl wegen der fünften Insolvenz seines Lieblingsvereins nach 2003, 2005, 2007 und 2021 geht unter die dicke Haut. Insolvenzverwalter Thomas Ellrich hat den einstigen Bundesliga-Dauergast (14 Saisons) vom Viertliga-Betrieb abgemeldet und alle Spieler freigestellt, damit sie bei der Agentur für Arbeit Leistungen beantragen können. Uerdingen steht mal wieder vor dem Aus. Vielleicht ist der Klub so nah dran wie noch nie. Mit jedem Schwarzweiß-Foto des KFC-Logos mit Trauerschleife, das auf Kirchners Handy reinflattert, wird das dunkle Gefühl stärker. Er beschreibt es so: „Es ist, als wenn ein Angehöriger stirbt. Zu Beginn kann man es sich noch gar nicht vorstellen ...“ Bei einem Frust-Pils auf der Stehtribüne in der Ostkurve trauert der Ehrenamt-Elefant wegen der abgesagten Partie und erzählt von seinem „KFC Hollywood der Regionalliga West“. Bei Toren, so der in Düsseldorf arbeitende Krankenpfleger, habe er gerne drauflos getanzt. Nach besonderen Heimsiegen durfte er auch mal mit der Mannschaft in der Kabine ein Bierchen trinken. Wie im August gegen Gütersloh. Mit exklusiven Foto-Einblicken hat er die 118 Abonnenten seines WhatsApp-Kanals unterhalten. Das soll bald alles vorbei sein? Die Stimmung ist ein wenig wie beim Trauerkaffee nach einer Beerdigung, wenn noch mal die schönsten Erinnerungen ausgepackt werden. Auch wenn es noch nicht so weit ist. Denn irgendwo ist noch ein bisschen Rest-Hoffnung beim DFB-Pokalsieger von 1985 (2:1 gegen Bayern). Kirchner setzt auf den aktuellen Vorstand: „Die beiden sind das Seriöseste, was wir seit Langem hatten.“ Als der Verein noch Bayer Uerdingen hieß, feierte er große Erfolge: Wolfgang Schäfer und Friedhelm Funkel (r.) stellten 1985 den DFB-Pokal auf den Kopf Quelle : picture alliance/dpa/- Gemeint: Christian Ritzenfeld und Dmitry Voronov. Sie sind gerade einmal zwei Monate im Amt, doch beide schon lange im Verein. Ihr Vorstandschef Thomas Platzer agiert vor allem aus Süddeutschland und ist der verlängerte Arm von Spielerberater Mehmet Eser (M-Soccermanagement) – der starke Mann bei „Oeding“. Mit privaten Geldern (soll rund 750.000 Euro hineingepumpt haben) hielt er den KFC lange am Leben. Wenngleich dem Freund von emotionalen Facebook-Kommentaren immer wieder auch vorgeworfen wurde, in entscheidenden Momenten unterzutauchen. Wegen komplizierter Finanz-Fakten ist jedenfalls der Punkt erreicht, an dem Uerdingen als zahlungsunfähig eingestuft wird. Der Vorstand will gegen den Entscheid klagen, doch die Chancen sind minimal. Mal wieder müssen eine Insolvenz bewältigt und ein Neustart geschafft werden. Das große Problem: Anders als bei den vorherigen Konkursen herrscht in Krefeld heute wirres Gegeneinander. Mit Insolvenzverwalter Ellrich wird aus Vorstandssicht miserabel kommuniziert. Eine Opposition mit vielen Bestands-Sponsoren will die aktuellen Bosse und deren Berater stürzen, und die Ultras sind ebenfalls auf Kriegsfuß. Eine halbe Stunde, bevor der Grotifant beim Termin mit der „Sport Bild“ durch die Grotenburg streift, stürmten sie das Stadion und hängten Banner auf mit der Aufschrift „Vorstand verrecke!!“ oder „Verpisst euch, sonst knallt’s!“ Ritzenfeld beteuert zwar: „Wir sind nicht die Totengräber des KFC. Wir versuchen nur, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.“ Doch diesmal könnte es tatsächlich misslingen und sogar darin enden, dass der Klub aus dem Vereinsregister gestrichen wird. In Uerdingen herrscht seit Jahrzehnten ständige Geldnot Was es braucht, ist Bares. Seit dem Ausstieg des Bayer-Konzerns 1995 herrscht ständige Geldnot, wodurch sich der Verein zum Auffangbecken zwielichtiger Gestalten entwickelte. Berühmtestes Beispiel: Russen-Mäzen Mikhail Ponomarev, der unter anderem Stefan Effenberg und Kevin Großkreutz zum KFC lockte. Und ihn 2021 in Schutt und Asche hinterließ. Jetzt soll Berater-Investor Eser mal wieder privat aushelfen. Ritzenfeld zum Plan: „Insolvenz abwenden, Sponsoren gewinnen. Fortführungsprognose erstellen. Dass einige regionale Sponsoren vor uns zurückgehalten werden, macht es nicht einfacher. Aber dann müssen wir neue Wege gehen.“ Damit Uerdingen nächste Saison wieder Spieler anstellen und in der Oberliga antreten darf, braucht der Rekord-Insolvenzantragssteller ein vernünftiges Konzept. Ohne wird der Insolvenzverwalter dem Verein keine „positive Fortführungsprognose“ attestieren. Daran arbeiten Ritzenfeld und Voronov gerade jede Sekunde. Bis zu 90 Stunden die Woche. Voronov: „Ein affengeiler Verein. Aber wir haben ohne Ende Probleme geerbt, hatten 51 gültige Verträge von Trainern, Spielern und Sportdirektoren.“ Lesen Sie auch Weltplus Artikel Volkskrankheit Arthrose „Wer lieber Schnitzel mit Pommes isst, wird diesen Regenerationsweg nicht beschreiten“ Sie wollen zwar nicht jammern, kommen aber nicht umhin, über einen Kampf gegen Windmühlen zu klagen. Bei Geschäfts-Übernahme vor zwei Monaten seien alle Computer und die Cloud zuvor von ihren Vorgängern geleert worden. Wichtige Informationen, wie Sponsorenverträge oder Gläubiger, würden ihnen dadurch fehlen. Von vielen Einnahmen wüssten sie nichts, da sie direkt aufs Konto des Insolvenzverwalters gegangen sein sollen. An Kontoauszüge kämen sie nicht. Derzeit gehen sie von 1,8 Millionen Euro Schulden aus. Manche Gelder seien zudem unauffindbar. Etwa die Gästeticket-Einnahmen aus den Heimspielen gegen Duisburg und Oberhausen. Auch anrüchige Gerüchte über Kassen-Leerungen machen die Runde. Laut Ritzenfeld sei nicht nachvollziehbar, wo große Teile der Kiosk-Einnahmen aus dem Duisburg-Spiel Ende November landeten. Die Opposition erhebt wiederum ähnlich schwere Vorwürfe. Verlierer in allen Fällen: KFC Uerdingen.