Philosophin Seyla Benhabib über Trump-Angriffe auf Unis: „Eine Art philosemitischer McCarthyismus“ Von: Michael Hesse Drucken Teilen Anti-Trump-Protest In Washington DC. © Imago Images Die Adorno-Preisträgerin und Philosophin Seyla Benhabib über Trumps Angriff auf die US-Universitäten, den Kampf im Inneren des Führungszirkels und die große Bedeutung des 15. Mai für die Vereinigten Staaten. Ein Interview von Michael Hesse Sie ist eine der bekanntesten Philosophinnen der Welt. Seyla Benhabib erhielt erst im vergangenen Jahr den Adorno-Preis der Stadt-Frankfurt. Professor Benhabib, Wie erleben Sie die Stimmung an den amerikanischen Universitäten derzeit? Ängstlich, vorsichtig, zum Teil auch verwirrt. Die Lage ausländischer Wissenschaftler und Studierender ist besonders prekär. Die Administration handelt willkürlich: Mal heißt es, Visa würden generell abgelehnt, dann wieder, sie würden in Einzelfällen doch genehmigt. Das bedroht nicht nur die internationale Offenheit amerikanischer Universitäten, sondern auch ihre finanzielle Basis. Gerade Programme wie das LLM an der Columbia University, in dem über 300 Studierende aus aller Welt, aus China, Indien, Singapur oder Europa, amerikanisches Recht studieren, sichern mit ihren hohen Gebühren einen erheblichen Teil des Haushalts. Wenn diese Studierenden ausbleiben, wird das Modell privater Spitzenuniversitäten in seiner heutigen Form untragbar. Um ein Beispiel zu geben: Bleiben bei der New School in New York die Doktoranden aus dem Ausland weg, hat die Universität ein erhebliches finanzielles Problem. Die Lage ist also ernster, als viele in Europa glauben? Unbedingt. Man muss sich klarmachen: Anders als in Deutschland finanzieren sich Universitäten hier weitgehend privat. Der Verlust internationaler Studierender, der Entzug von Fördermitteln, etwa in den Naturwissenschaften oder im Feld der Medizin, bedeutet existenzielle Bedrohung. Es geht hier also nicht einfach um Geisteswissenschaften. Allein der Bereich der Medizin erfordert einen unheimlich hohen finanziellen Aufwand. Das alles unternimmt die Trump-Regierung als Teil eines politischen Kulturkampfs. Wie würden Sie diesen Kulturkampf beschreiben? Es geht darum, progressive Werte wie Diversität, Gleichberechtigung, Inklusion zu delegitimieren. Universitäten werden gezielt attackiert, weil sie diese Werte verkörpern. Was wir erleben, ist der Versuch, die kulturelle Hegemonie progressiver Milieus zu brechen – koste es, was es wolle. Hat die Trump-Regierung diesen Kulturkampf bereits für sich entschieden? Nein, das ist ihr noch nicht gelungen. Aber die Trump-Regierung hat sehr viele Mittel dafür in der Hand. Wenn Gerichte gegen die Regierung entscheiden und sagen, dass dies verfassungswidrig sei, kommt ein Zyniker wie J. D. Vance daher und sagt, die Gerichte hätten nun einmal kein Militär. Das Land muss sich von dieser Regierung einfach auch einmal distanzieren, um den Kulturkampf gewinnen zu können. Einer der Vorwürfe lautet: jüdische Studierende würden an den Universitäten besonders bedroht. Wie bewerten Sie das? Ich finde diese Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs durchschaubar und, ehrlich gesagt, peinlich. Antisemitismus wird politisch zur Waffe gemacht. Natürlich gibt es antisemitische Vorfälle – etwa Anschläge wie der auf das Haus des Gouverneurs von Pennsylvania oder das Massaker in der Synagoge von Pittsburgh. Aber daraus zu schließen, dass studentische Proteste gegen Israels Politik per se antisemitisch seien, ist eine absichtsvolle Verzerrung. Es hilft auch nicht, den Antisemitismus-Vorwurf so inflationär oft zu gebrauchen. So etwas hilft weder jüdischen Studierenden, jüdischen Menschen noch Israel. Was dabei tatsächlich herauskommt, ist dann ein tatsächlich wachsender Antisemitismus. Letzte Woche wurde das Haus des Gouverneurs von Pennsylvania angezündet, nachdem seine Familie Pessach gefeiert hatte. Das ist Antisemitismus. Das kann man aber nicht auf eine Stufe mit Palästina-Demonstrationen an den Universitäten gleichsetzen und sagen, das sei per se antisemitisch. Was bezweckt man dann damit? Das dient dazu, linksliberale Universitäten insgesamt unter Verdacht zu stellen. Kürzlich erhielten Kollegen an Barnard College Fragebögen von einer Bundesbehörde: Sind Sie jüdischer Herkunft? Haben Sie antisemitische Diskriminierung erfahren? Das Ziel dieser Umfragen ist nicht Schutz, sondern Überwachung und Einschüchterung. Ich stimme meiner Kollegin Susan Neiman zu: Es ist eine Art philosemitischer McCarthyismus, was sie richtig benannt hat. Wie bewerten Sie die Reaktion der Columbia-University, die eingeknickt ist? Persönlich habe ich kaum Veränderungen gespürt, der akademische Alltag geht weiter. Aber in manchen Fachbereichen, etwa im Department of Middle Eastern, South Asian, and African Studies, sind die Auswirkungen gravierend: Anstellungen wurden eingefroren, kritische Professoren ziehen sich zurück. Ich denke da etwa an Rashid Khalidi. Er wird sich jetzt wahrscheinlich ganz zurückziehen wollen, obwohl er noch Studenten hat. Und besonders betroffen ist auch der Fachbereich Middle Eastern and South Asian and African Studies Department. So ein interdisziplinärer und wertvoller Fachbereich, den hat man bereits frühzeitig ins Visier genommen. Es gibt dort zurzeit keine Anstellungen mehr, zum Beispiel im Bereich der Philosophie. Und sichtbar ist ein Wandel in der Atmosphäre: Barrikaden, Sicherheitskontrollen – man kommt ohne Ausweis und ohne kontrolliert zu werden, nicht mehr dort hinein, die offene Universitätskultur leidet. Man hat schon den Eindruck, dass man nicht mehr in einer offenen Gesellschaft lebt. Zeigt sich in Harvard, das gegen die Regierung klagt, eine neue Form von Widerstand? Ja, aber er verlagert sich auf die juristische Ebene. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die ACLU kämpfen vor Gericht. Auch Bundesstaaten wie Kalifornien und Massachusetts klagen gegen die Bundesregierung. In diesem föderalen System ist es möglich, exekutive Machtüberschreitungen juristisch anzufechten – und genau das geschieht jetzt. Aber können Gerichte sich gegen eine Administration durchsetzen, die ihre Urteile ignoriert? Das ist die zentrale Gefahr. Wir stehen an der Schwelle einer Verfassungskrise: Wenn Exekutive und Judikative in offenen Konflikt geraten und eine Seite sich weigert, die Entscheidungen der anderen zu akzeptieren. Schon Thomas Hobbes wusste: Gesetze ohne Schwert sind nur Worte. In vielen Ländern wäre dies der Moment eines Militärputsches – aber die amerikanische Tradition kennt kein Eingreifen der Armee. Ob diese Tradition hält, wird sich zeigen. Was wir derzeit sehen, ist im Grunde genommen eine klassische Verfassungskrise. Können Gerichte ihre Urteile durchsetzen, wenn sie keine Waffen besitzen, wie Hobbes sagte? Das ist die große Frage. Wir kommen langsam zu einem Punkt, der denen in anderen Ländern ähnelt, in denen dann das Militär eingreift. Wir nähern uns diesem schwierigen Punkt. Welches konkrete Ereignis könnte diese Krise zuspitzen? Die Entscheidung des Supreme Court über das Staatsbürgerschaftsrecht, das am 15. Mai ansteht. Trump will das Prinzip des „Jus Soli“ abschaffen – also das Geburtsortsprinzip, das seit 1865 jedem Kind, das auf US-Territorium geboren wird, die Staatsbürgerschaft garantiert. Es handelt sich um den 14. Zusatzartikel der Verfassung. Eine Abschaffung wäre ein fundamentaler Bruch mit der amerikanischen Idee. Damit wäre das liberale Amerika Geschichte. Es geht also um sehr viel. Was würde es bedeuten, sollte der Supreme Court Trumps Kurs stützen? Es wäre das Ende der USA als offenes Einwanderungsland. Die gesellschaftlichen Spannungen würden sich massiv verschärfen. Es wäre ein historischer Kipppunkt. Viele sprechen in diesem Zusammenhang von Faschismus. Ist dieser Begriff angemessen? Er ist ungenau. Es ist nicht so etwas, wie man es aus Europa kannte, dass man bewaffnete Gruppierungen mit schwarzen Stiefeln durch die Straßen marschieren sieht. Die USA sind kein klassisch faschistisches System. Es ist ein komplexes Land, das über 330 Millionen Einwohner verfügt, viel größer als Italien, Argentinien oder Deutschland. Aber es gibt faschistoide Elemente: die Schwächung der Judikative, der Angriff auf Minderheitenrechte oder Andersdenkende, den Rassismus, die Mythologie einer goldenen Vergangenheit. Es sind Elemente, die wir aus der Geschichte kennen. Eher als von Faschismus würde ich von einem Gangsterstaat sprechen, wie ihn Max Horkheimer beschrieben hat: eine Regierung, die Gesetze nur dann beachtet, wenn es ihr nützt. Hannah Arendt sagte, dass totalitäre Regime nur mit einem Krieg zum Ende kommen. Oder sie dauern so lange fort, bis der Diktator gestorben ist, wie Franco in Spanien. Ich hoffe natürlich nicht, dass es zu einem Dritten Weltkrieg kommen muss, bevor diese US-Regierung sich verabschiedet. Aber wir müssen viel mehr auf die inneren Machtzirkel dieser Regierung und ihre Konflikte untereinander achten. Was erkennen Sie da? Drei Gruppen bilden die Basis: Erstens die Tech-Oligarchen wie diese schillernde Figur Elon Musk, die einen hyperkapitalistischen Internationalismus vertreten. Gut möglich, dass sein Einfluss jetzt etwas abgenommen hat. Aber das ist ein Typ, ein echter Rassist. Er folgt einer Science-Fiction-Ideologie, welche das Ende des Planeten Erde zum Inhalt hat, deshalb sollen andere Welten erobert werden. Er träumt von Rassenreinheit, deshalb hat er selbst 12 oder 13 Kinder gezeugt. Er ist einer der von Horkheimer so bezeichneten Gangster-Politiker, der die Verwaltung in eine Unternehmenskooperation verwandeln wollte. Wie groß der Schaden ist, ist noch nicht zu erkennen. Welche weiteren zwei Gruppen gibt es noch? Zweitens die Rechtspopulisten um Steve Bannon und die Heritage Foundation, die ein autoritäres, ethnonationalistisches Regime anstreben. Das von ihnen so bezeichnete Projekt 2025 ist ein faschistisches Dokument. Diese Typen glauben wirklich an die konservative Revolution im Sinne von Carl Schmitt. Sie verstehen sich nicht gut mit Elon Musk. Und drittens die Wall Street, die Trumps Steuer- und Deregulierungsversprechen folgt. Diese Gruppen vereint der Hass auf den Verwaltungsstaat, aber ihre Interessen widersprechen sich. Irgendwann wird dieser Widerspruch aufbrechen. Man erkennt die Risse bereits. Musk ist Internationalist. Er will freien Handel. Bannon will die Jobs zurück in die USA holen. Sehen Sie die Gefahr eines Bürgerkriegs in den Vereinigten Staaten? Nein, nicht im klassischen Sinn. Aber wir werden eskalierende Gewalt erleben – insbesondere im Umfeld der nächsten Zwischenwahlen 2026. Die Versuche, Wahlen zu manipulieren und Zugang zu Wahllokalen zu erschweren, haben bereits begonnen. Es ist eher eine Art Kulturkampf. Und das ist schlimm genug. Der Kulturkampf wird weitergehen, und mit ihm die Erosion demokratischer Institutionen. Aber einen Eingriff des Militärs wie in lateinamerikanischen Ländern wird man in den USA nicht sehen. Die Tradition ist eine andere. Gibt es noch Hoffnung auf eine Wende? Solange Gerichte unabhängig bleiben, solange zivilgesellschaftlicher Widerstand existiert, solange die Idee einer offenen Gesellschaft nicht völlig diskreditiert wird – ja. Aber das Fenster wird enger.