Die ersten Angriffe seien für ihn noch "irgendwie handlebar" gewesen, sagt Sören Skalicks. Doch dann war da dieser Morgen im vergangenen Oktober. Diesmal fand er keine Schmierereien oder Hundekot an der Klinke des rostbraunen Gartentors an seinem Arbeitsplatz. Stattdessen lag vor dem Tor etwas, das aussah wie eine Handgranate. Daneben war ein Glas mit Teelicht abgestellt. Skalicks zeigt ein Foto auf seinem Handy. Auf das Glas war eine sächsische Flagge in gelb-grün gekritzelt und die Aufschrift: "Für ein Sachsen ohne Moslems". Skalicks rief die Polizei. Das faustgroße Ding mit Zünder und Schnur stellte sich schnell als "billig gemachte Attrappe" heraus, sagt der 43-Jährige. "Aber da habe ich mich zum ersten Mal persönlich bedroht gefühlt." Dass da jemand andeute, ihn oder Mitglieder seines Vereins in die Luft sprengen zu wollen. Das gehe weit über das hinaus, was er zuvor erlebt habe. So erzählt es Skalicks Ende März in der Geschäftsstelle des Vereins Buntes Meißen für Zivilcourage e. V. Zwei Büroräume in einem unbewohnten Privathaus im Triebischtal, einem Wohnviertel am Rand von Meißen. Skalicks ist der Leiter. Die Initiative gründete er 2013 gemeinsam mit dem evangelischen Pfarrer, Bernd Oehler, als Gegenprotest zu einem angekündigten Reichsbürgertreffen in Meißen. Seit 2014 sitzt Skalicks außerdem für die Linke im Kreistag von Meißen. Der Verein bietet Sprach- und Integrationskurse für Geflüchtete an und setzt sich für Vielfalt und Toleranz in der Stadtgesellschaft ein. Seit September 2024 sei es zu einer Serie rechtsextremer Anfeindungen gekommen, sagt Skalicks: Drohbriefe, Hakenkreuze am Zaun der Geschäftsstelle, dann das angezündete Vereinsschild. Skalicks deutet auf eine viereckige Plakette mit dichter Rußspur über der Gravur. Sie lehnt ausrangiert neben einem Regal am Boden. In einem der Drohbriefe habe gestanden: "Geht heim ihr drecks Moslems und Ukrainer. Wir wollen Euch nicht!" Sören Skalicks beschäftigt die Attrappe der Handgranate vor der Geschäftsstelle seines Vereins nach wie vor. "Das knabbelt an einem. Auch jetzt noch." © Leon Joshua Dreischulte für ZEIT ONLINE Buntes Meißen ist eines von tausenden Zielen von politisch rechtsmotivierten Straftaten im Jahr 2024. 41.400 Fälle bundesweit zählt das BKA, das ist ein Anstieg um 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Den größten Anteil darunter haben Propagandadelikte und Volksverhetzung, es gab aber auch 1.443 rechtsextreme Gewaltdelikte – durchschnittlich fast vier Fälle pro Tag. 2024 entfielen neben Hamburg und Berlin – wie schon in den vergangenen Jahren – die meisten rechtsmotivierten Straftaten pro 100.000 Einwohner auf die fünf ostdeutschen Bundesländer. In Sachsen gaben kürzlich auch die sächsischen Opferberatungsstellen einen Anstieg rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt bekannt. Der Verein RAA Sachsen spricht von einer "zunehmend gewalttätigen rechten Raumnahme". Am selben Tag veröffentlichte die Zwickauer Oberbürgermeisterin Constance Arndt eine an sie gerichtete Drohmail: "Denken Sie an Walter Lübke. Immer schön aufpassen." Der Absender hat den Nachnamen des ermordeten CDU-Politikers Lübcke falsch geschreiben, nennt sich selbst "Adolf Hitler". Hier, im ländlichen Raum in Sachsen, agieren die mutmaßlichen Täter mitunter in einem Umfeld, in dem die AfD bei der Bundestagswahl auf 40 Prozent und mehr kam. Eine Partei, die vom sächsischen Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft ist und deren Vertreter immer wieder Stimmung gegen andere politische Parteien, zivilgesellschaftliche Initiativen, migrantische, queere und geflüchtete Menschen machen. Meißen, das bedeutet auch: ein großer historischer Altstadtkern, kunstvoll geschwungene Altbaufassaden in bunten Pastelltönen, traditionelles Porzellan-Kunsthandwerk. © Leon Joshua Dreischulte für ZEIT ONLINE Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Volksverhetzung Fünf Monate ist es her, dass Skalicks die Attrappe vor dem Tor zur Geschäftsstelle gefunden hat. "Aber das knabbelt an einem", sagt er. "Auch jetzt noch." Während er erzählt, streicht er sich immer wieder die langen Haare im Zopf glatt, als könnte er so auch seine Gedanken ordnen. Zuerst übernahm der Staatsschutz die Ermittlungen, dann die Staatsanwaltschaft Dresden. Der Strafantrag lautet auf Volksverhetzung, Sachbeschädigung und Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten. Zum Gespräch mit ZEIT ONLINE hat Skalicks seine Kollegin Maria Fagerlund mitgebracht, lila Wollpulli, Jeans und ebenfalls Vereinsmitglied. Die 42-Jährige kam 2016 dazu, als der Verein in der Flüchtlingshilfe aktiv wurde. Fagerlund arbeitet sonst als Stadtführerin und organisiert das jährliche Meißner Literaturfest. Ein paar Wochen vor dem Treffen schickt sie ein Handyfoto, darauf drei gesprayte Hakenkreuze an einer Mauer und dazu die Bemerkung: "Heute Morgen an einer viel befahrenen Straße in Meißen". Maria Fagerlund ist Mitglied bei Buntes Meißen und organisiert das jährliche Literaturfestival der Stadt. © Leon Joshua Dreischulte für ZEIT ONLINE Beim Stadtrundgang mit ihr bietet die 30.000-Einwohner-Stadt auch ein völlig anderes Bild. Ein großer historischer Altstadtkern, kunstvoll geschwungene Altbaufassaden in bunten Pastelltönen, einen eigenen Bischofssitz mit dem Dom auf dem Hügel über der Elbe, das traditionelle Porzellan-Kunsthandwerk. © Lea Dohle Newsletter Was jetzt? – Der tägliche Morgenüberblick Starten Sie mit unserem kurzen Nachrichten-Newsletter in den Tag. Erhalten Sie zudem freitags den US-Sonderletter "Was jetzt, America?" sowie das digitale Magazin ZEIT am Wochenende. 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Fagerlund entfernt regelmäßig rechtsextreme Sticker in der Stadt, hier einen Aufkleber in den Farben der Reichskriegsflagge. © Leon Joshua Dreischulte für ZEIT ONLINE "Die neuen Rechten heute sind die Söhne der Nazis meiner Jugend" Ein Hotspot sei der Busbahnhof, acht lange Steige, Bänke mit Glasüberdachung. Hier würden sich Mitglieder der Elblandrevolte, einer rechtsextremen Gruppierung, nach Feierabend häufig treffen, sagt Fagerlund. Auf dem Fußweg, der zu den Bussteigen führt, bleibt sie an einer Laterne stehen und kratzt mit den Fingernägeln eine Reichsflagge vom Pfahl. "Wir hatten schon vorher sichtbar Rechtsextreme in der Stadt, aber dass ein Teil wieder wie in den Neunzigerjahren herumläuft, hat erst 2023 angefangen." Es seien meist junge Männer mit strengen Scheiteln oder rasierten Haaren, schwarze Bomberjacken, häufig mit rot kariertem Innenfutter. Dazu Aufnäher der Jungen Nationalisten oder von in der rechtsextremen Szene beliebten Marken wie Londsdale, Thor Steinar oder Yakuza, sagt Fagerlund. Auf Videos von Kundgebungen sind Mitglieder der Elblandrevolte häufig auch uniform in schwarzen The-North-Face-Regenjacken zu sehen. Eine Marke, deren Name auf einigen T-Shirts zu "The White Race" und damit zu einem rechtsextremen Statement abgewandelt wird. Die Elblandrevolte gab im Februar 2024 auf Instagram ihre Gründung bekannt. Einer der drei Gründer, Alexander W., kommt aus Meißen, sagt Fagerlund. Sie schätzt, dass die Gruppe etwa 15 Mitglieder in der Stadt hat. Mitgliedern der Elblandrevolte wird der gewaltsame Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke im Mai 2024 in Dresden vorgeworfen. Ihr Anführer Finley P. soll kurz vor Weihnachten in Görlitz die junge Linken-Politikerin Samara Schrenk und ihre Begleiter mit Faustschlägen und Tritten verletzt haben. Er sitzt deshalb in U-Haft. "Es ist heute wieder hip, rechts zu sein", sagt Skalicks. Die Situation erinnere ihn an seine Jugend in den Neunzigerjahren. In diesen sogenannten Baseballschläger-Jahren wuchs er im Triebischtal auf, jenem Viertel, in dem vor allem Arbeiter und Geringverdienerinnen leben und aus dem seinerzeit viele der Neonazis kamen. "Die neuen Rechten heute sind die Söhne der Nazis meiner Jugend", sagt Skalicks. Die Ideologie sei geblieben, die Akteure der rechten Szene von damals seien nur erwachsen geworden, hätten irgendwann bürgerliche Jobs ergriffen und Familien gegründet. Der parteilose Oberbürgermeister von Meißen, Olaf Raschke, lässt eine Anfrage von ZEIT ONLINE zu den Angriffen auf den Verein Buntes Meißen und zum gesellschaftlichen Klima in seiner Stadt unbeantwortet. Über sein Büro lässt er ausrichten, dass er für ein Gespräch zu diesem Anliegen "leider nicht zur Verfügung steht". Dafür antwortet sein hauptamtlicher Stellvertreter, Bürgermeister Markus Renner. Buntes Meißen leiste seit vielen Jahren wichtige Arbeit für das Miteinander von Meißnerinnen und Meißnern und Geflüchteten, entsprechend entsetzt sei man über die Angriffe gewesen und habe das Gespräch mit dem Verein gesucht. "Wir verurteilen jede Form von Drohungen und Gewalt gegen gemeinnützig Engagierte als inakzeptable Mittel im städtischen Miteinander und im demokratischen Diskurs", so Renner.