Finnland und Deutschland halten X die Treue, statistisch gesehen

Der Mikroblogging-Dienst X verliert weiter an Reichweite in der Europäischen Union. Das geht aus Daten hervor, die das Unternehmen halbjährlich in der EU veröffentlichen muss. Statistisch gesehen haben im Halbjahr bis März 2024 109,2 Millionen Nutzer in der EU mindestens einen Tweet im Monat gesehen. Im Halbjahr bis März 2025 waren es nur noch 94,8 Millionen. Das ist rechnerisch ein Rückgang von 13 Prozent. Geht man eineinhalb Jahre zurück, beläuft sich der Rückgang sogar auf 25 Prozent. Ältere Daten gibt es nicht. Anzeige Doch Obacht! Diese Zahlen sind weit überhöht, die tatsächliche Reichweite ist nämlich erheblich geringer. Dazu muss man gar nicht erst nach Bots suchen, die X womöglich fälschlich als Menschen zählt, sondern nur in die ersten beiden Transparenzberichte schauen, die X nach Inkrafttreten des Digital Services Act (DSA) veröffentlicht hat. Dort verrät das Unternehmen, dass es jeden Nutzer neu zählt, wenn er in dem Beobachtungszeitraum von einem weiteren EU-Land aus auf X zugreift. Und X-Leser sind offenbar reisefreudig. Die 109,2 Millionen durchschnittlich monatlichen Tweet-Rezipienten von vor einem Jahr waren in Wahrheit nur 66,1 Millionen einzelne Nutzer, nach X-Zählung. Die Gesamtsumme ist als mindestens zwei Drittel überhöht. Das zuzugeben, dürfte X schwerfallen. In den beiden jüngsten Berichten fehlt die Angabe. Nicht übersehen werden darf, dass manche X-User mehr als ein X-Konto haben, was zu weiteren Mehrfachzählungen führen dürfte. Und wie viele der Millionen EU-User echte Menschen sind und wie viele Bots (oder neuerdings KI-Agenten), weiß wahrscheinlich auch X nicht. X-fach gezählt Die x-fache Zählung der selben Nutzer erschwert die Interpretation der Daten erheblich. Länder am Rande der EU, wie beispielsweise Litauen, werde deutlich weniger reisende X-User aufweisen als zentral gelegene wie Deutschland oder Österreich. Und wer ein Land durchquert, wird in einem kleineren Land wie Luxemburg eher weniger zu X surfen als bei einer länger dauernden Durchquerung eines großen Landes wie Frankreich oder Spanien. Der Vergleich der aktuellen Zahlen mit den ein Jahr älteren taugt also als Tendenzindikator, die absoluten Zahlen sind wenig aussagekräftig. Hinzu kommt, dass X einerseits eingeloggte Nutzer zählt, andererseits nicht eingeloggte, und dann diese beiden Gruppen zusammenzählt. Ob es auch hier zu Doppelzählungen kommt, ist nicht klar. Für Medienanfragen ist X nicht erreichbar. User geben Druck zu Log-In nach Schließlich hat X auch den Zugriff für nicht eingeloggte Nutzer stark eingeschränkt. Das soll Interessierte dazu treiben, sich ein Konto anzulegen respektive sich dort einzuloggen. Denn das verrät X mehr über den Rezipienten, womit es höhere Preise für eingeblendete Reklame lukrieren kann. Anzeige Dieser Druck funktioniert zumindest teilweise. Während die Summe der durchschnittlichen monatlichen Tweet-Leser in der EU im Jahresabstand wie erwähnt um 13 Prozent gefallen ist, beläuft sich das Minus bei den nicht eingeloggten Rezipienten auf 26 Prozent. Bei den Eingeloggten beschränkt sich der Rückgang auf vier Prozent. Das deutet auf eine Verschiebung von nicht eingeloggten zu eingeloggten Lesern hin. Das dürfte den Rückgang der Werbeeinnahmen geringer ausfallen lassen als den Rückgang der Reichweite. Einzelne Länder sehr verschieden Deutlich divergierende Trends zeigen sich bei den einzelnen EU-Ländern. Die Zahlen für die nicht eingeloggten Leser sind überall deutlich gefallen, von minus acht Prozent in Rumänien bis -35 Prozent in Polen und -37 Prozent in Spanien. Für Deutschland weist X minus elf Prozent aus, für Österreich -22 Prozent. Bei den Eingeloggten verlaufen die Trends noch unterschiedlicher. In 16 Ländern ist die Zahl gefallen, in elf gestiegen. Die größten Zuwächse gibt es in Finnland mit +67 Prozent, gefolgt von Kroatien mit +21 Prozent. In Deutschland beträgt der Zuwachs fünf Prozent, in Österreich acht. Enorme Rückgänge gibt es dafür in Litauen (-53%), Luxemburg (-45%), Polen (-40%) und Rumänien (-37%). Summiert man Eingeloggte und Nicht-Eingeloggte, wird deutlich, dass auch die Gesamtzahl der Rezipienten in jedem EU-Land im letzten Jahr zurückgegangen ist – mit einer Ausnahme: Für Finnland weist X ein Plus von 22 Prozent aus. Deutschland hat sich als einziges Land kaum bewegt, nur -0,49 Prozent stehen in der Statistik. Wie gesagt sind darin auch alle Besucher Finnlands beziehungsweise der Bundesrepublik enthalten, die dort einen Tweet abgerufen haben. Die größten Rückgänge der Gesamtreichweite gibt es in Litauen (-43%), Luxemburg (-41%), Polen (-40%) und Rumänien (-30%). Österreich liegt mit minus sechs Prozent unter dem Durchschnitt. heise online hat die folgende Tabelle aus Angaben X' erstellt. Sie zeigt die prozentuelle Veränderung der durchschnittlichen monatlichen Rezipienten von X-Inhalten von den sechs Monaten bis inklusive März 2024 zu den sechs Monaten bis inklusive März 2025. Wie im Text erwähnt, sind darin Mehrfachzählungen Reisender enthalten; zudem ist unklar, wie das Unternehmen Nutzer mit mehreren Konten saldiert, und wie es mit Nutzern umgeht, die sowohl eingeloggt als auch nicht eingeloggt etwas abgerufen haben. Keine Anhaltspunkte gibt es dazu, wie intensiv und erfolgreich X versucht, Bots herauszurechnen. Land Eingeloggte Nicht-Eingeloggte Summe Belgien -12 -30 -20 Bulgarien -0 -9 -4 Dänemark 3 -27 -8 Deutschland 5 -11 -0 Estland 17 -23 -1 Finnland 67 -23 22 Frankreich -4 -26 -12 Griechenland -2 -22 -13 Kroatien 21 -24 -8 Irland -5 -32 -17 Italien 11 -24 -2 Lettland -9 -29 -17 Litauen -53 -12 -43 Luxemburg -45 -32 -41 Malta 1 -24 -9 Niederlande 9 -21 -4 Österreich 8 -22 -6 Polen -40 -35 -38 Portugal -4 -27 -13 Rumänien -37 -8 -30 Schweden 2 -20 -6 Spanien -2 -37 -18 Slowakei -2 -29 -16 Slowenien -8 -22 -17 Tschechien -11 -21 -16 Ungarn -4 -27 -15 Zypern 9 -25 -6 EU-weit -4 -26 -13 (ds)