Kunst in Museen muss einiges aushalten. Aktivisten, die sich ankleben, altkluge Studentinnen, die mit Wikipedia-Wissen ihre Dates beeindrucken wollen, und natürlich Kinder, die von Eltern auf pädagogischer Mission durch die Ausstellungen gezerrt werden. Und in den vergangenen Jahren, da schien die Belästigung von Gemälden als Protestform kein Ende zu nehmen. In München wurde damals etwa der wertvolle Rahmen eines Rubens beschädigt, in Potsdam beschmierte man die Verglasung eines Monets mit Kartoffelbrei, und im Oktober 2020 wurden auf der Berliner Museumsinsel gleich 63 Ausstellungsstücke gleichzeitig attackiert. Mit vermutlich weniger aktivistischer Agenda hat ein kleines Kind nun kürzlich ein Gemälde in einem Museum in Rotterdam zerkratzt: Mark Rothkos Grau, Orange auf Kastanienbraun, Nr. 8 mit einem Marktwert von schlappen 50 Millionen Euro. Einen Teil davon könnte das Werk wegen der sichtbaren Kratzer im unteren Bereich nun eingebüßt haben. Nun kommen Fragen auf: Wer ist schuld? Und natürlich: Wer zahlt? Muss ein Kleinkind zeit seines Aufwachsens sein Taschengeld an ein niederländisches Museum überweisen? Wir haben bei einem Kunstanwalt, einer staatlichen Gemäldesammlung und einer Versicherungsangestellten nachgefragt, wie die Rechtslage in Deutschland wäre. Sie alle eint ihre erste, schnelle Antwort: "Es kommt drauf an." Professor Jan Hegemann ist Rechtsanwalt in der Berliner Kanzlei Raue und spezialisiert auf rechtliche Fragen im Bereich Kunst. Gut möglich sei es, dass die Eltern des Kindes ihre Aufsichtspflicht verletzt hätten. Anders gesagt: In unmittelbarer Nähe zu derart hochwertiger Kunst darf man sein Kind nicht aus den Augen lassen. "Aber nun ja, shit happens", lautet die juristische Facheinschätzung des Anwalts. Medienberichten zufolge war das Kind in Rotterdam keine fünf Jahre alt. "Hätte ein Teenager achtlos eine Flasche Cola über den Rothko gekippt, wäre die Sache eine andere." Aber wenn so ein kleines Kind, "das noch keinen Begriff von Gut und Böse hat, ein Gemälde beschädigt, dann ist es auch nicht strafbar". Wie vermittelt man seinem Nachwuchs denn auch, dass es etwa im Malkurs in der Kita gut sei, draufloszukritzeln, heilsam sogar, wie die Kinderpsychologie es nennen würde? Hier hingegen wäre das gleiche Verhalten böse – auch wenn Rothkos Farben zur eigenen Beteiligung mindestens genauso einladen wie Mandalas in der eigenen heimischen Bastelecke. Ab einem gewissen Alter sollte man allerdings wissen, wann Kunst interaktiv ist und die eigene Bastelschere zum Einsatz kommen darf und wann stumme Ehrfurcht vor einem millionenschweren Werk im Mindestabstand geboten ist. © ZEIT ONLINE Newsletter Natürlich intelligent Künstliche Intelligenz ist die wichtigste Technologie unserer Zeit. Aber auch ein riesiger Hype. Wie man echte Durchbrüche von hohlen Versprechungen unterscheidet, lesen Sie in unserem KI-Newsletter. 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Einem möglichen Verteidiger der Familie empfiehlt Hegemann "das genaue Hingucken", ob vielleicht auch das Museum nicht alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat: "Warum ging keine Alarmanlage los, als das Kind sich dem Gemälde näherte? Warum hing da keine Kordel, stand da kein Podest?" Kurzes Innehalten. "Na ja, wobei, darüber wäre ein tollpatschiges Kind im Zweifel auch gestolpert." Vor allem ob der Summe der durch die Beschädigung entstandenen Wertminderung sorgt sich Hegemann: "Wenn Rothko noch leben würde, wäre es halb so wild. Er könnte es selbst ausbessern. Jetzt werden es Restauratoren für ihn reparieren müssen. Die sind bestimmt kompetent. Aber eben nicht Rothko." Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Kind für den Schaden nicht aufkommen muss: In einem Museum in Haifa zerdepperte letzten August ein Vierjähriger eine 3.500 Jahre alte Vase, da war der Urheber etwas länger tot als Rothko. Trotzdem stellte die Institution "die Vase einfach wieder her", wie die BBC schreibt – der Junge musste nichts bezahlen und erhielt wenige Tage nach dem Vorfall sogar eine persönliche Führung durch das Museum. Zur Beruhigung seines schlechten Gewissens, er habe scheinbar besonders große Reue gezeigt. Seinem niederländischen Schicksalsgenossen würde die eine oder andere schuldbewusste Träne also sicherlich gut zu Gesicht stehen. In den staatlichen Museen Deutschlands hilft keine Träne und kein Gott. Hier werden Metaphysik der Kunst und kleinkindliche Naivität von den Ansprüchen des Fiskus getrumpft: "Versuchen Sie mal, vor den Steuerzahlern zu rechtfertigen, dass sie für die Restaurierung aufkommen müssen", sagt eine Sprecherin der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, und man meint das Kopfschütteln mitzuhören. "Es muss schon priorisiert werden, wofür Steuern eingesetzt werden." Und in privaten Sammlungen? Normalerweise sei Kunst in deutschen Museen und Galerien gegen alles versichert, was nicht "explizit ausgeschlossen ist, zum Beispiel Krieg, innere Unruhen, Radioaktivität", sagt die Leiterin der Kunstabteilung des Maklers Helmsauer Gruppe. Ist das Kind also nicht zufällig mit waffenfähigem Uran durch die Galerie gelaufen, wäre es also auf der sicheren Seite. "Die meisten Schäden entstehen ohnehin in banalen Situationen, beim Transport oder eben durch unvorsichtige Besucher." Die Haftpflichtversicherung der Eltern müsste vielleicht trotzdem obendrauf zahlen. Es kommt also einiges zusammen: die Intentionen des Kindes, sein scheinbar noch nicht ausgebildetes Verständnis moralphilosophischer Dilemmata, die fehlenden Sicherheitsmaßnahmen des Museums sowie Fragen der Autorenschaft, der Versicherung und der spezifischen Rechtslage in den Niederlanden. Das Museum sucht seit dem Vorfall händeringend ein Team aus internationalen Restauratoren. Wer für deren Mühen aufkommen soll, das Museum oder das Kind mit ungefähr all seinen noch kommenden Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken zusammen, diese Entscheidung kann sich noch Jahre hinziehen. Offen bleibt weiterhin, ob dieses Kleinkind mit der Attacke auf Rothkos Kunst sein frühes Bekenntnis zu abstrakter Kunst ausdrückt – oder zum politischen Aktivismus. Dafür fehlt ihm nur noch der Kartoffelbrei.