Russlands Pop-Star Shaman: Putin-Pop für die Massen

Seit dem Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022 ist Russland von einer Teilnahme am ESC ausgeschlossen, russische Künstler können sich seitdem nicht mehr vor hunderten Millionen von Fans präsentieren. Das haben sie in der Vergangenheit recht erfolgreich getan: In den zehn Jahren bis zum Ausschluss landete lediglich ein russischer Beitrag auf einem zweistelligen Platz, je zweimal schafften es Songs aus Russland auf die Plätze 2 und 3. Das sind Platzierungen, von denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland in der vergangenen Dekade nicht einmal ansatzweise träumen konnten. Den Wert von Popmusik zu Propagandazwecken hat längst auch Wladimir Putin entdeckt – und mit dem „Intervision“-Wettbewerb die russische Gegenveranstaltung zum ESC wiederbelebt. Im Februar unterschrieb Putin ein Dekret, mit der er die Durchführung des Wettbewerbs, der im Herbst 2025 stattfinden soll, befahl. 25 Staaten sollen bereits ihre Teilnahmen zugesagt haben. Bereits 2023 hatte Putins Kulturbeauftragter Michail Schwydkoi die Neuauflage des Wettbewerbs angekündigt, der bereits 1977 als ESC-Alternative der Ostblock-Staaten initiiert wurde. Lawrow über „Intervision“: „keine Perversionen“ Der Ausschluss Russlands vom ESC spielt in der Begründung der Verantwortlichen für die Neuauflage naturgemäß keine Rolle. Vielmehr hieß es bereits im Herbst in einer Pressemitteilung aus Russland, die „Intervision“-Veranstaltung sei eine Alternative zum „ideologischen und voreingenommenen“ ESC. Russlands Außenminister Sergei Lawrow versprach: „Ich garantiere, dass es dort keine Perversionen und Verhöhnungen der menschlichen Natur geben wird, wie wir es bei den Olympischen Spielen in Paris beobachtet haben“. Gemeint sind in Russland damit ganz besonders jegliche LGBTQI+-positive Zeichen oder jene, die von der Regierung als solche gewertet werden. Der ESC ist bekannt für offen queere Teilnehmende und in der queren Community äußerst beliebt. In Russland dagegen sind die Rechte derer, die nicht der angeblich heterosexuellen Norm entsprechen, stark eingeschränkt. LGBT oder auch die englische Abkürzung LGBTQI+ steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-Menschen, queere sowie intergeschlechtliche Menschen – eventuelle der Abkürzung angefügte Pluszeichen oder Sternchen dienen als Platzhalter für weitere Identitäten und Geschlechter. Patrioten-Pop als Folterwerkzeug Zu den Ländern, die ihre Teilnahme bereits zugesagt haben, sollen angeblich China, Saudi-Arabien und Brasilien gehören. Wie Putin im vergangenen Jahr verlauten ließ, unterstützten die „chinesischen Freunde“ Russlands Idee der Gründung eines Gesangswettstreits unter dem Namen „Intervision“. Und auf einen eigenen Kandidaten hat man sich in Russland auch bereist festgelegt: den umstrittenen Popstar Shaman. Rund eine halbe Million Followerinnen und Follower folgen dem Künstler auf Instagram, 25 Millionen Beiträge auf TikTok lassen sich unter dem Tag #shaman finden. Auf Spotify sind die Lieder des 33-Jährigen nicht mehr zu finden: Bereits 2022 hatte der schwedische Streaming-Riese seinen Betrieb in Russland eingestellt, im Juni 2024 dann Putin-nahe russische Künstler von seinem Dienst entfernt, darunter auch Shaman. Jaroslaw Dronow, so dessen bürgerlicher Name, gilt in Russland als Nationalist, Putin-Anhänger und Befürworter des Überfalls auf die Ukraine. Der mittlerweile in der Gefangenschaft gestorbene Regimekritiker Alexander Nawalny erklärte einst auf X, dass er jeden morgen mit der Musik Shamans gefoltert werde. Vom K-Pop zum Z-Pop Dessen bekanntester Song heißt „Ja Russki“ („Ich bin Russe“), eine kitschige Ode an Heimatland und Herkunft, subtil und dennoch eindeutig. Und Shaman ist nicht der einzige Künstler, der seine Liebe zum Vaterland wieder oder erst neu entdeckt hat. Als Z-Pop wird die Musik auch bezeichnet, in Anlehnung an das Z-Symbol, mit der eine Zustimmung zum Ukraine-Krieg ausgedrückt wird, und den koreanischen K-Pop. Z-Pop ist jedoch keine eigene Kategorie, auch Rap-, Rock- oder Pop-Künstler lassen sich unter dem Terminus zusammenfassen, wenn die Gesinnung stimmt. Alexa von Winning, Dozentin an der Universität Tübingen, hat diese patriotische Popkultur untersucht und in einem Artikel für das Fachmagazin „Osteuropa“ beschrieben. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagte sie bereits 2023: „Es gibt eine staatliche Förderung für diese Musik, die lässt sich aber nicht immer mit direkten Geldzuweisungen erklären“. Die Förderung drücke sich vor allem in für Künstler elementaren Dingen aus, etwa wie der Bereitstellung von Infrastruktur, von Sendezeit, Studiokapazitäten oder öffentlichen Auftritten bei Groß-Events und in Stadien. Die Expertin ergänzt: „Ohne Zustimmung staatlicher Institutionen gibt es das alles nicht.“ In seinen Liedern gelinge es Shaman, Einheits- und Gemeinschaftsgefühle zu beschwören, erklärt David-Emil Wickström, Musik-Ethnologe an der Popakademie Mannheim. Es gehe in den Liedtexten um Heimat, Identität, den russisch-orthodoxen Glauben oder die Verteidigung des Vaterlands gegen Feinde von Außen. Diese Themen seien plakativ verpackt, die Botschaft einfach zu verstehen und die Songs eignen sich zum Mitsingen. Pop-Star Shaman: Ein Glücksfall für Putin Für Putin sei Shaman ein Glücksfall, so Henrik Schütz, Journalist des Deutschlandfunk. Er verkörpere genau das Bild, dass Russlands Präsident von dem Land haben wolle: weiß und christlich. Das tat der Künstler nicht immer: Vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und der Wandlung Shamans war dieser weniger durch seine Musik, sondern durch Teilnahme an Casting-Shows im Land bekannt und hatte längst nicht das heutige Popularitätslevel erreicht. Seine Wandlung zum Vaterlands-Fan und Putin-Getreuen zahlt sich für den Künstler also aus. Das Regime duldet ihn nicht nur, es fördert ihn. Nicht nur im Inland dient die russische ESC-Alternative als Propaganda-Werkzeug. David-Emil Wickström sieht in der Veranstaltung auch ein Softpower-Tool Russlands, um nach Außen das gewünschte Bild des Landes präsentieren zu können. Die„ Intervision“-Veranstaltung ist nicht unabhängig, wie es der Eurovision Song Contest ist, sondern unterstehe Lawrow und dessen Außenministerium. Das Event diene damit auch der Pflege der Kontakte zu unter anderem China und Brasilien – diese Länder unterhalten engere Beziehungen zu Russland und nehmen nicht am ESC teil.