Aktivistin erklärt Argentiniens schweren Kampf

Mileis Kettensäge und die „globale Rechte“: Aktivistin erklärt Argentiniens schweren Kampf Von: Laura May Drucken Teilen Arbeitskämpfe in Argentinien spitzen sich unter Javier Milei zu. Am Tag der Arbeit mobilisiert eine junge Aktivistin gegen die Kettensäge – trotz vieler Widerstände. Buenos Aires – Gabriela De La Rosa will trotz Repressionen am 1. Mai auf die Straße gehen. Sie weiß schon, was sie dem rosafarbenen Präsidentenpalast Javier Mileis entgegensingen wird: „Zahlt die Auslandsschulden nicht mit dem Hunger des Volkes, die Krise sollen die Anführer zahlen!“ Die Aktivistin hofft, dass die Polizei an diesem Tag der Arbeit nicht mit Tränengas oder Gummigeschossen antwortet, wie bei früheren Protesten gegen den Anarchokapitalisten Milei und seine Kettensäge. Die 35-Jährige kämpft seit 15 Jahren für soziale Gerechtigkeit. Bei ihrem Einsatz für den Bau einer neuen Kunstschule war sie in Kontakt mit Aktivist*innen der argentinischen Arbeiter*innenbewegung gekommen. Seitdem engagiert sie sich so leidenschaftlich für die Bewegung Polo Obrero (deutsch: Arbeitspol), dass sie zu einer Schlüsselfigur der Vereinigung geworden ist. Ihr Ziel sei ein gemeinsamer Kampf von Arbeitslosen und Arbeitnehmer*innen für Klassengerechtigkeit. Unter Anarchokapitalist Milei sei das besonders wichtig, weil er Armut quasi zur Privatsache erkläre, Suppenküchen schließe, Sozialhilfen streiche, Rechte einschränke und Protest kriminalisiere. Tag der Arbeit: Javier Milei und seine Kettensäge verstärken Spaltung von Arm und Reich „Die Probleme enden ja nicht mit einer neuen Schule“, sagt De La Rosa mit leuchtenden Augen. Sie spricht schnell und konzentriert. „Es ist ein Kampf nach dem anderen, und mit jedem lernen wir dazu.“ Prägend sei für sie die Ermordung des Aktivisten Mariano Ferreyra im Jahr 2010 gewesen. „Dieses Ereignis hat meine gesamte politische Entwicklung beeinflusst“, erinnert sie sich. „Er war so jung wie ich und verlor sein Leben im Kampf für Arbeitsrechte.“ De La Rosa kommt aus La Matanza, einem Vorstadtviertel von Buenos Aires, das vor allem mit Gewalt, Drogen und Armut Schlagzeilen macht. Hier leben knapp zwei Millionen Menschen, doch für die Bewohner der Stadt Buenos Aires (mit etwas mehr als drei Millionen Einwohnern), sind Vororte wie La Matanza meist nur eine nervige Randnotiz. Milei und seine Kettensäge verschärfen die Spaltung zwischen Arm und Reich weiter. Widerstand gegen den Wirtschaftspopulisten: Argentinien am Tag der Arbeit gegen die Kettensäge Zwei Tage vor dem Tag der Arbeit sitzt De La Rosa in einer kühlen Lagerhalle im Stadtviertel Parque Patricios. Um sie herum laufen die Vorbereitungen für Aktionen am 1. Mai. Banner mit Parolen bedecken die Wände, Drucker rattern im Hintergrund, Trommeln mit der Aufschrift „Polo Obrero“ stapeln sich neben ihr – der Polo Obrero wird Krach machen. Gabriela De La Rosa, Aktivistin des Polo Obrero in Buenos Aires, kämpft gegen Javier Mileis Sparpolitik. © Laura May Entstanden während der Wirtschaftskrisen der 1990er, als Tausende von Arbeiter*innen in die Arbeitslosigkeit oder prekäre und weitgehend vertragslose Arbeitsbedingungen gezwungen wurden, protestiert die Bewegung mit rund 85.000 Mitgliedern bis heute mit Märschen und Straßenblockaden für Arbeitsplätze, Ausbildung, Sozialhilfe und soziale Rechte. Polo Obrero kämpft vor allem für die Rechte jener Menschen, die nicht von großen Gewerkschaften vertreten werden: Migrant*innen, Menschen aus den Armenvierteln und informell Beschäftigte – das sind in Argentinien selbst laut staatlichem Statistikamt INDEC rund 42 Prozent. De La Rosa spricht von 60 Prozent. Diese Gruppen trifft Mileis Kettensäge besonders hart. Argentinien war bisher ein Land, in dem Bildung, Gesundheit und auch Suppenküchen frei und staatlich finanziert zugänglich waren. Unabhängig von Wohnsitz, Pass oder Versicherungsstatus. Diesen seiner Meinung nach unnötig aufgeblähten Sozialstaat zersägt Milei seit Amtsantritt im Dezember 2023 – und dient mit seinem radikalen Sparkurs Libertären wie Elon Musk als Vorbild. Javier Milei hat den Suppenküchen in Argentinien 5000 Tonnen Lebensmittel vorenthalten Plötzlich fehlen armen Menschen in Argentinien Medikamente und Nahrung. Selbst die Suppenküchen für die Ärmsten hat Milei nach Amtsantritt als linkssozialistisches Feindbild deklariert – und sich direkt einen Skandal eingefangen, als bekannt wurde, dass er 5000 Tonnen Lebensmittel in Lagerhallen zurückhält, während sein Volk Hunger hat. Die Suppenküchen sind eines der zahlreichen Anliegen des Polo Obrero. Gegründet während der letzten großen Wirtschaftskrise Argentiniens, positioniert sich die Bewegung ebenso gegen die peronistischen Linkspopulisten wie den rechtslibertären Anarchokapitalisten. Sie ist politisch verbunden mit der recht irrelevanten Arbeiter*innenpartei (Partido Obrero), „doch wir halten immer die Fahne politischer Unabhängigkeit hoch“, sagt De La Rosa. Die argentinische Organisation Polo Obrero kämpft für die Rechte von Arbeitnehmer*innen und Arbeitslosen. Hier bei einem Marsch in Buenos Aires. © FEDERICO IMAS Sie seien basisdemokratisch, horizontal organisiert; in den Stadtvierteln, Vororten und Provinzen im ganzen Land. Die Aktionen reichen vom Kampf für Arbeitsrechte und Arbeitslose bis hin zum Kampf gegen Menschenhandel und Drogenbanden. „Wir haben uns noch nie an eine Regierung verkauft“, sagt De La Rosa stolz und etwas gehässig in Richtung Peronisten, deren Abgeordnete bereits mehrere Kettensägen-Gesetze mitgetragen haben. Die größte Gewerkschaft des Landes hingegen habe nun einen Pakt geschlossen, nur so könne Milei regieren. Und: „Die Regierung hängt an der Gunst der Opposition und den internationalen Finanzmärkten“, sagt sie. „Globale Rechte kriminalisiert sozialen Protest“ – De La Rosa im Kampf gegen die Kettensäge Aktuell werde der Polo Obrero allerdings besonders verfolgt und unter Druck gesetzt. Es laufen Prozesse wegen einer Demo im Dezember 2023, die gegen das Sicherheitsprotokoll der umstrittenen Innenministerin Patricia Bullrich verstoßen haben soll, elf Aktivist*innen seien angezeigt, darunter Polo-Obrero-Kopf Eduardo Belliboni, die Polizei habe vor Kurzem ihre Zentrale gestürmt, Konten eingefroren, Aktionen gestoppt, vor Gericht würden ihre Zeugenaussagen und Beweise ignoriert. „Wir werden kriminalisiert“, sagt De La Rosa. „Die Regierung will Arbeitsbewegungen zerstören, um ihre Sparpolitik durchzubringen“ Kritiker*innen rund um das neu geschaffene Ministerium für Humankapital werfen Belliboni hingegen Machtmissbrauch vor. Ein Bundesgericht ermittelt wegen Erpressung und Betrug um öffentliche Gelder. Laut De La Rosa eine reine juristische und mediale Hetzjagd, die auch von regierungsnahen Journalist*innen getragen werde. „Wir machen den Fernseher an und sehen unsere Gesichter mit der Überschrift: Das sind Kriminelle.“ Das sei kein argentinisches Phänomen. „Die globale Rechte hat eine Agenda, die sozialen Protest kriminalisiert“, sagt De La Rosa und betont: „Wir kämpfen nicht nur für einen Teller Suppe, wir kämpfen gegen das Warum.“ Heißt: internationale Finanzmärkte, Imperialismus, Kapitalismus, Kolonialismus, Ausbeutung. Wie auch in den USA unter Donald Trump wird in Argentinien aktuell der Rechtsstaat immer wieder missachtet. Milei regiert per Dekret, Amnesty International warnt vor Einschränkungen der Presse- und Versammlungsfreiheit sowie Kürzungen bei staatlichem Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, Sozialhilfe und Kulturförderung. Wenn es nach dem libertären Präsidenten geht, gilt in Argentinien nun das Recht des Stärkeren. Er nennt das Freiheit. Internationale Finanzmärkte feiern Mileis Kettensäge, Menschen in Argentinien leiden Internationale Presse und Industrie feiern Milei, weil er die Inflation abbremsen konnte und das Vertrauen von Investoren und IWF wiedergewonnen hat. Doch der Konsum im Land ist eingebrochen: laut Statistikinstitut INDEC 22 Prozent im Großhandel und acht Prozent im Einzelhandel. Alles ist teurer geworden, dementsprechend kaufen die Menschen weniger. „Nach einem Einbruch der Reallöhne und dem Anstieg der Armut und Arbeitslosigkeit ist die Einkommenssituation für die meisten Haushalte extrem angespannt“, schreibt der promovierte Politökonom Patrick Kaczmarczyk im April 2025 im Wirtschaftsmagazin Surplus. Elon Musk früher: So sehr hat sich der Trump-Berater verändert Fotostrecke ansehen Offiziell ist die Armutsrate unter der Regierung von Javier Milei von 53 Prozent auf 38 Prozent gesunken. Milei feiert das lautstark als Erfolg und nutzt die Zahl als Waffe gegen die Opposition. Doch es gibt Zweifel an der Aussagekraft dieser Zahl, da sie weder den informellen Sektor, noch die steigenden Kosten für öffentliche Verkehrsmittel, Gesundheit oder Bildung adäquat einkalkuliert. „Mieten sind überhaupt nicht mit inbegriffen in die Rechnung“, sagt De La Rosa. Viele junge Erwachsene seien wieder zurück ins Elternhaus gezogen, weil das Geld nicht reicht. Privatisierung, Armut und Gewalt: Die Folgen von Milei und seiner Kettensäge Über Zahlen wird in Argentinien ohnehin viel gestritten. Der gesetzliche Mindestlohn liegt bei weniger als 300.000 Pesos pro Monat (rund 220 Euro), die gesetzliche Mindestrente ebenfalls. Eine Familie mit zwei Kindern braucht laut Statistikamt Buenos Aires allerdings mindestens 1.700.000 Pesos (1.280 Euro), um nicht unter die Armutsgrenze zu fallen. All das sei ein sozialer Rückschritt, sagt De La Rosa. Es sei eine bekannte Spirale aus Privatisierung, Liberalisierung, Armut, Gewalt und Hunger. Genau jene Dynamik des Elends, wegen der sich der Polo Obrero vor knapp 30 Jahren gründete. Der Protest am 1. Mai wird nur ein weiterer Tag in Argentiniens langem Arbeitskampf sein. (lm)