Fußball-WM 2006: Das große Schweigen
So einsilbig kennt man Günter Netzer gar nicht. Der redselige einstige Fernsehexperte war als Zeuge im Landgericht Frankfurt per Video aus seiner Heimat, der Schweiz, zugeschaltet. Erhellendes zu den Fragen des Sommermärchen-Prozesses, wofür die ominöse Zahlung des DFB von 6,7 Millionen Euro diente, und wer, wann von ihr wusste, trug aber auch er nichts bei. Netzer bestätigte nicht mal das, was er 2016 der Staatsanwaltschaft zu Protokoll gegeben hatte, wonach er zu dieser Sache mehrfach mit Wolfgang Niersbach und Franz Beckenbauer telefoniert habe. "Ich kann mich daran nicht erinnern." Der Staatsanwalt fragte nach: "Auch nicht an Ihre eigene Aussage?" Netzer: "Nein." Da musste man wieder an die Aussage von Eva-Marie Distler denken. "Ich hatte selten ein Strafverfahren, in dem die Leute ein so schlechtes Erinnerungsvermögen hatten", hatte die Richterin an einem der Verhandlungstage gesagt und dies immer wieder variiert. Vor zehn Jahren diskutierte das ganze Land, ob die WM 2006 gekauft war. Im Oktober 2015 hatte der Spiegel die Schwarzen Kassen des DFB aufgedeckt. Das "zerstörte Sommermärchen", so der Titel, beschäftige Wochen, Monate, Jahre Medien, Politik, Fans und sehr viele Juristen. Am Mittwoch endete nach vierzehn Monaten der Prozess, in dem rund 6.000 Seiten Akten erstellt wurden, für die Hauptverantwortlichen, die drei ehemaligen DFB-Funktionäre Theo Zwanziger, Horst Schmidt und Wolfgang Niersbach – und ohne eindeutige Antwort. Sicher, weil die Dinge lange zurückliegen. Ganz sicher, weil sich viele Beteiligten nicht mehr erinnern wollen. Formal ging es in Frankfurt um schwere Steuerhinterziehung. Unter dem Aktenzeichen 5/2 KLs 11/18 – 7550 Js 242375/15 verhandelte die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts die Zahlung jener 6,7 Millionen Euro, die der DFB im April 2005 in verschiedenen Tranchen über die Fifa nach Katar an den damaligen Fifa-Funktionär Mohamed bin Hammam überwies. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hat der Verband sie unrechtmäßig als Betriebsausgabe deklariert. Der Falsche auf der Anklagebank: Theo Zwanziger Parallel dazu wurden aber auch politische, gesellschaftliche Themen mitverhandelt: War die WM 2006 wirklich gekauft? Hat sich Deutschland damals zu Unrecht schwarz-rot-gold geschminkt? Ist das Sommermärchen kaputt? Oder, das sagen seine Verteidiger, war die Aufregung übertrieben? Waren die Deutschen in ihrem Hang zur Selbstkasteiung wieder mal päpstlicher als Kaiser Franz? © Lea Dohle Newsletter Was jetzt? – Der tägliche Morgenüberblick Starten Sie mit unserem kurzen Nachrichten-Newsletter in den Tag. Erhalten Sie zudem freitags den US-Sonderletter "Was jetzt, America?" sowie das digitale Magazin ZEIT am Wochenende. Registrieren Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis. Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail geschickt. Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement. Diese E-Mail-Adresse ist bereits registriert. Bitte geben Sie auf der folgenden Seite Ihr Passwort ein. Falls Sie nicht weitergeleitet werden, klicken Sie bitte hier . Das juristische Ergebnis: Einen Stimmenkauf konnte das Gericht nicht beweisen. Ab jetzt wird nur noch über den DFB verhandelt. Dabei wird entschieden, wie viel Bußgeld er zahlen muss und ob ihm die Gemeinnützigkeit für eine bestimmte Zeit aberkannt wird. Für den Verband stehen zwischen 20 und 30 Millionen auf dem Spiel. Gegen alle drei Angeklagten jedoch wurde das Verfahren wegen geringfügiger Schuld gegen eine Geldstrafe eingestellt. Wolfgang Niersbach, ehemaliger DFB-Präsident, einigte sich mit dem Gericht auf 25.000 Euro. Horst Schmidt, viele Jahre DFB-Generalsekretär, wird 65.000 Euro zahlen müssen. In seinem Fall ließ das Gericht ausdrücklich Milde walten, weil er krank ist und weil er als einer der wenigen Befragten weitgehend ehrlich auftrat, also geständig war. Und am Mittwoch ließ sich, als Letzter, Theo Zwanziger auf die Summe von 10.000 Euro ein, die er an die Kinderherzstiftung spenden darf. Der Ex-Präsident des DFB war zu Beginn des Prozesses im März 2024 mehrfach mit der Richterin in Konflikt geraten. Am Ende war ihr Verhältnis äußerst harmonisch. Sie sagte: "Hier sitzt der Falsche auf der Anklagebank."