Berlin altert: Innerhalb eines Jahrzehnts ist die Zahl der Einwohner, die das 80. Lebensjahr überschritten haben, um etwa 66 Prozent gestiegen. Deutlich spürbar wird diese demografische Entwicklung bei den stationären Behandlungen in den 59 Krankenhäusern der Regelversorgung in der Stadt. Hier stieg der Anteil der Hochbetagten zwischen 2005 und 2023 von 14 auf 22 Prozent. Das geht aus dem Krankenhausreport, den das Wissenschaftliche Institut der Krankenkasse AOK (WIdO) nun veröffentlicht hat. Studien zufolge leiden Hochbetagte sehr häufig an zwei oder mehreren Krankheiten: Bei Frauen jenseits der 80 sind es etwa 82 Prozent, bei Männern knapp 80. Ihr Bedarf an medizinischer Versorgung und Pflege ist entsprechend hoch. Darauf seien die Berliner Kliniken in vielen Fällen nur unzureichend vorbereitet, schreiben die Autoren des Krankenhaus-Reports. „Insgesamt sehen wir bei diesen Patientinnen und Patienten ein hohes Risiko für Komplikationen. Deshalb müssen wir die ambulante Versorgung für Hochbetagte dringend verbessern“, sagt Dagmar Schmidt, Krankenhaus-Expertin der AOK Nordost. „Das verhindert unnötige Krankenhausaufenthalte, schützt die Kliniken vor Überlastung und verhindert massive Kostensteigerungen.“ Aus finanzieller Sicht stellt sich die Situation laut WIdO so dar: Pro Krankenhaus-Aufenthalt verursacht ein Hochbetagter Behandlungskosten in Höhe von etwa 3350 Euro. „Das sind fast siebenmal so hohe Kosten wie bei den unter 60-Jährigen“, heißt es in einer Mitteilung von diesem Mittwoch. In der Perspektive zeichnen die Autoren ein düsteres, wenngleich seit Jahrzehnten erwartbares Bild: „Mit dem Eintritt der geburtenstarken Babyboomer ins Rentenalter wird der Druck auf die Versorgung Hochbetagter weiter zunehmen.“ Die Forscher fanden heraus, dass im Jahr 2022 ungefähr 44.000 Krankenhausaufenthalte hochbetagter Berlinerinnen und Berliner hätten vermieden werden können. Das entspreche fast jeder dritten Einweisung in dieser Altersgruppe. Es betreffe vor allem Behandlungsfälle von Pflegebedürftigen mit Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Diabetes. Sie sollten idealerweise hausärztlich oder im Pflegesetting kontinuierlich versorgt werden. „Wir müssen dafür sorgen, dass nur die Menschen im Krankenhaus behandelt werden, deren stationäre Behandlung nicht vermieden werden kann“, sagt Dr. David Scheller-Kreinsen, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO und Mitherausgeber des Reports. „Ein Schlüssel für die Verhinderung von Krankenhauseinweisungen ist eine bessere medizinische Betreuung chronisch kranker Hochbetagter im häuslichen Umfeld“, heißt es in der Mitteilung der AOK weiter. Wie das funktionieren könne, werde seit April vergangenen Jahres in einem Modellprojekt in Berlin untersucht, das die AOK Nordost unterstützt. „ErwiN“ ist sein Name, der für Erweiterte Übertragung von arztentlastenden Tätigkeiten in Arzt-Netzen stehen soll. 87 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause versorgt Speziell ausgebildete Pflegefachkräfte übernehmen dabei Hausbesuche und bestimmte Behandlungen selbst. „Per Videosprechstunden können Ärztinnen und Ärzte hinzugezogen werden“, teilt die AOK mit. „Eine solche Übertragung ärztlicher Aufgaben auf Pflegefachkräfte ist in Deutschland bislang nur in Modellprojekten möglich. In anderen europäischen Ländern ist diese Praxis bereits Alltag.“ Etwa 87 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden in ihren eigenen vier Wänden versorgt. Angehörige können sich in einem der 36 Berliner Pflegestützpunkte kostenfrei beraten lassen. Zentrale Fragen, die in Zukunft weiter an Gewicht gewinnen werden, lauten: Welche Wohnformen passen zu der speziellen Situation des Pflegebedürftigen? Was für Unterstützungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung? Dabei rücken alternative Modelle zum Pflegeheim und der Pflege daheim immer stärker in den Fokus. So gewinnen Pflege-WGs immer stärker an Bedeutung. Mit etwa 800 solcher Wohngemeinschaften liegt Berlin einsam an der Spitze. Die Krankenhausaufenthalte lassen sich indes nur durch eine stärkere Verlagerung der Versorgung auf den ambulanten Bereich vermeiden. Bislang fehlen in Berlin allerdings die nötigen Strukturen dazu – und die finanziellen Mittel, sie zu schaffen.